Florian Cramer on Thu, 30 Oct 2003 11:32:32 +0100 (CET) |
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Re: [rohrpost] schon wieder medienkunst |
Am Donnerstag, 30. Oktober 2003 um 09:31:16 Uhr (-0000) schrieb Armin Medosch: > On 30 Oct 03, at 9:40, Andreas Broeckmann wrote: > > > hallo, > > > > ich weiss auch nicht, ob wir uns in debatten ueber den den begriff > > 'medienkunst' verstricken sollten, darueber ist schon sehr viel > > gesagt, und der allgemeinen kritik an diesem begriff (zitat 'die > > sogenannte medienkunst'), steht eine resistente heuristik gegenueber, > > die fuer kuenstlerische arbeiten und praxen, die sich mit > > elektronischen und digitalen medien und deren gesellschaftlicher > > bedeutung beschaeftigen, genau diesen begriff immer wieder anwendet. > > ich hab damit nicht solche muehe. > > mir gehts aehnlich. vielleicht findet ja mal wer was besseres. Warum nicht schlicht "elektronische Kunst" - oder "elektronische Künste", um zu verdeutlichen, daß der Begriff z.B. auch elektronische Musik und Literatur einschließt? Denn das ist doch, wie man auch Andreas' Formulierung entnehmen kann, faktisch gemeint. Der Begriff "Medienkunst" ist schon insofern problematisch, als er impliziert, daß andere Kunst ihre Medien nicht reflektiert bzw. nicht kritisch mit ihrem Material und ihren technischen Parametern arbeitet, was natürlich Unsinn ist. Auch ein Roman von Sorokin, ein Film von Tarantino oder ein Bild von Sigmar Polke (um nur vergleichsweise kanonische bzw. populäre Beispiele zu nehmen) ist eine Reflexion seines Mediums bzw. seines technischen Trägers, firmiert aber gemeinhin nicht als "Medienkunst". Man kann den Begriff "Medienkunst" (oder "Materialkunst"?) vielleicht als sinnvolles Unterscheidungskriterium von Materialreflexion in den Künsten verwenden, im Sinne etwa dessen, was Roland Barthes "schreiberlich" im Gegensatz zu "leserlich" nennt, um z.B. die experimentelle Prosa von Joyce von der realistischen Prosa Zolas zu unterscheiden. Das scheint aber "Medienkunst" in ihrem heutigen Wortsinn nicht zu bedeuten; vielmehr ist ihr Name eine mundgerechte Abkürzung von "Neue Medien-Kunst". An den "neuen Medien" aber hängt der ganze McLuhan-Ballast eines Begriffs, der nie sonderlich klar war, im Zeitalter der elektronischen Massenmedien der 60er und 70er Jahre vielleicht seinen Sinn hatte, aber z.B. auf Computer und Internet angewandt problematisch und weitgehend unbrauchbar geworden ist: Der Computer ist nicht einfach ein Medium im Sinne eines Kanals, und auch wenn man ihn unter den schon schwammigeren Begriff der "neuen Medien" subsumiert, stellt man ihn in eine Kontinuität früherer "neuer Medien" wie Film, Radio, Fernsehen und Video. Diese Kontinuität gibt es zwar faktisch - nämlich einerseits in populären Teilanwendungen von Computertechnologie wie dem Multimedia-PC, andererseits in informationstechnischen Teilaspekten wie z.B. Datencodierung/-kompression, Kanal-Bandbreiten etc. - und lohnt sich daher auch zu betrachten, doch ist sie eben nur ein Teilaspekt von Computertechnologie und produziert ein falsches Grundverständnis des Computers, wenn sie für das Ganze gehalten wird; die Struktur einer Rechenmaschine nämlich, die sehr wohl auch nicht audiovisuell und nicht als Datenablage und -schleuse genutzt werden kann (sprich: als Speicher und Übertragungskanal, die beiden Grunddefinitionen von "Medium" also, in denen aber Rechnen als dritte Funktion des Computers fehlt) und gerade dadurch, etwa im Einsatz als Datenbankserver, Datenauswerter oder Chat-Bot, kulturell interessant und eben auch "neu" wird. Und dieses Neue und Interessante schlägt sich ja gerade im Betrieb der salopp so genannten Medienkunst nieder, wenn z.B. bei der transmediale die Kategorien "Software" und "Interaktiv" Video als vormalige Leittechnologie verdrängt haben. Das scheint mir aber kein Resultat bloß eines veränderten Gebrauchs und Verständnisses von Speichern und Kanälen, also von Medien, zu sein, sondern Produkt der Veränderung - konkret: Digitalisierung - elektronischer Technologie, die elektronische Kunst mitvollzieht, wenn sie gleichfalls zu digitaler Kunst wird und darunter eben etwas radikaleres versteht als nur einen Umstieg von VHS- auf DV-Kassetten und von der Fernsehausstrahlung zum Videostreaming. -F -- http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/ http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html GnuPG/PGP public key ID 3200C7BA, finger cantsin@mail.zedat.fu-berlin.de
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