Inke Arns on Wed, 30 Jul 2003 20:04:20 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Die neue Spaß-Guerilla


[Ist das so etwas wie der neueste Trend im Sommerloch? Ist "Teil
der naechsten sozialen Revolution sein zu wollen" jetzt sexy? Ich
bekam heute schon einen Anruf einer aufgeregten Journalistin, die
mich dazu befragen wollte ... Gruss, IA]

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http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/index.asp?gotos=http://arch
iv.tagesspiegel.de/toolbox_po.php?ran=on&url=http://archiv.tagessp
iegel.de/archiv/30.07.2003/676534.asp#art


Die neue Spaß-Guerilla
„Flash Mobs“ nehmen zuerst Manhattan, dann Berlin

Von Matthias B. Krause,

New York

Über den Geburtsort streiten sich die Gelehrten. War es ein
Schuhgeschäft in Soho oder ein Kaufhaus in Midtown? Oder doch
erst das Grand Hyatt in Manhattan? Fest steht nur, dass der erste
so genannte Flash Mob Anfang des Monats in New York gesichtet
wurde. Und seitdem breitet sich das Phänomen in rasender
Geschwindigkeit über den Globus aus. San Francisco, Minneapolis
und Rom waren die nächsten Stationen, an denen sich größere
Menschenmengen spontan und scheinbar sinnfrei zu
minutenkurzen Aktionen zusammenfanden.

Die Welle rollt. Zuerst nahm der Flash Mob Manhattan, als
Nächstes nimmt er Berlin. Am heutigen Mittwoch um 18 Uhr steht
ein Herr mit buntem Regenschirm im Sony Center. Einzelheiten
werden erst dort bekanntgegeben. „http://flashmob.twoday.net/“;
zufolge will sich am Freitag ein Flash Mob um 18 Uhr vor dem
KaDeWe treffen. Sie holen um 18 Uhr 1 ihr Handy raus und sagen
immer „Ja“, „Ja“, „Ja“. Um 18 Uhr 2 stecken sie das Handy in die
Tasche und fangen an zu applaudieren. Um 18 Uhr 3 verlassen sie
umgehend den Eingang des KaDeWe. „Im Augenblick ist das so
etwas wie ein lustiger Streich", sagte Rob Zazueta kürzlich dem
„Boston Globe", „aber das geht tiefer. Es ist der Beweis, dass wir
mit den technischen Möglichkeiten, die wir haben, spontan
zusammenkommen können. Und wir hoffen, dass daraus etwas viel
Größeres wird." Ohne kommerzielle Interessen oder politische
Botschaft, „für Leute, die Teil der nächsten sozialen Revolution sein
wollen", wie Zazueta sagt. Er beruft sich dabei auf den Web-
Theoretiker Howard Rheingold, der in seinem jüngsten Buch das
Konzept der „Smart Mobs" beschreibt (www.smartmobs.com).
Nach seiner Definition ist es ein Phänomen, das entsteht, wenn
große Gruppen mit moderner Kommunikationstechnologie ihre
Talente nutzen. „Was wir im Augenblick sehen, sind die frühen
Tage von etwas", sagte Rheingold der „Business Week", „eine
Wiederbelebung der Graswurzelbewegung, die alles einschließt.
Von einfach Spaß zu haben bis zur friedlichen Demonstration auf
der Straße." Bei den Flash Mobs in Manhattan versammelten sich
die Leute in einem großen Kaufhaus in der Teppichabteilung. Dort
ließen die 100 Kunden die Verkäufer wissen, dass sie alle in einer
Kommune lebten und einen großen „Liebesteppich" suchen würden.

Heute abend Sony Center

Nach ein paar Minuten verschwand die Menge ebenso schnell, wie
sie gekommen war, und ließ verwirrtes Personal zurück. Im Hyatt
wiederum drängte sich die Menge auf der Hotelgalerie und begann
auf Kommando zu klatschen und zu johlen, also hätte sie gerade
einen Hollywood-Star gesichtet. Auch hier war der Spuk beendet,
bevor der erste Streifenwagen um die Ecke bog. In San Francisco
tanzten 250 Menschen in einem großen Kreis auf einer zentralen
Kreuzung. Zweimal hintereinander, immer brav bei Grün. Gottfried
Mayer, Chaos-Forscher an der Penn- State-Universität, sieht in
dem Flash MobPhänomen eine Bestätigung für die These, dass
sich das Internet in ähnlichen Strukturen organisiert wie das
menschliche Gehirn, als „globales Gehirn“. „Von daher ist es völlig
nahe liegend, dass spontan organisierte Massenveranstaltungen
wie diese Flash Mobs Teil einer künstlerischen Ausdrucksweise
werden", sagt Mayer, „auf einer längeren Zeitskala wird man nun
erwarten, dass sich später professionelle Flash-Mob-Aktivisten
organisieren und neue, dauerhaftere Strukturen entwickeln – ganz
so, wie in unserem Gehirn Strukturen zum Langzeitgedächtnis
entstehen.“ Das Prinzip der Massensynchronisation durch Internet
und Handy kann dabei eine gewaltige Dynamik entwickeln. Für die
Proteste gegen den Irak-Krieg setzen die US-Kriegsgegner
Mailinglisten und Internetforen erfolgreich ein. Im Augenblick
allerdings macht die Spaß-Fraktion die Schlagzeilen. Nach den
ungeschriebenen Gesetzen bekommen die Teilnehmer erst wenige
Minuten vor der Kundgebung Handlungsanweisungen. Im Voraus
werden nur Ort und Zeit bekannt gegeben.




Inke Arns
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IRWIN: Retroprincip 1983-2003

*Kuenstlerhaus Bethanien*
Berlin, 25 Sep - 26 Oct 2003
*Karl-Ernst-Osthaus Museum*
Hagen, 14 Nov 2003 - 4 Jan 2004
*Museum of Contemporary Art*
Belgrade, 14 April - 14 May 2004

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