Tilman Baumgärtel on Mon, 24 Nov 2003 21:01:22 +0100 (CET)


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[rohrpost] Bröselnde Bits



http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,275223,00.html

COMPUTER

Bröselnde Bits

Eine neue, subtile Form des Kopierschutzes setzt sich durch: Raffinierte 
Selbstzerstörungsprogramme sollen Software-Piraten zu zahlenden Kunden 
umerziehen.

Früher herrschte wenigstens Klarheit: Kam


DPA
"Fade" läßt die  kopierten CDs nach und nach "verblassen"

ein neues Computerspiel auf den Markt, dann kopierten zahlungsunwillige 
Zocker es sich bei Freunden und spielten fortan kostenlos. War die CD mit 
einem Kopierschutz versehen, knackten sie ihn eben. Nur wenn das partout 
nicht klappen wollte, mussten sie halt verzichten.

Heute dagegen können sie mitunter eine böse Überraschung erleben: Mit dem 
geknackten Computerspiel lässt es sich wunderbar tüfteln und ballern - bis 
die Gewehrsalven plötzlich ins Leere zu driften beginnen, Billardkugeln 
herumschlingern oder virtuelle Kontostände einfach verdampfen.

Derlei Vexierspiele haben System: "Fade" heißt die Software, welche die 
US-Firma Macrovision vor kurzem ihrem Kopierschutzprogramm Safedisc 3.1 
hinzufügte und damit der illegalen Kopierszene den Kampf ansagte.



DER SPIEGEL
Teure Kopierwut

"Fade" schützt Spiele wie das Ballerspiel "Operation Flashpoint" oder den 
Fußball-Titel "BDFL Manager 2001" und funktioniert so, wie der Name es 
andeutet: Es lässt Kopien der Original-CD nach und nach "verblassen". Statt 
eine starre Kopierschutzmauer zu errichten, wird die Verteidigungslinie ins 
Innere des Programms verlegt.

Der Raubkopierer merkt davon erst einmal gar nichts: Nachdem er das Spiel 
auf eine CD gebrannt hat, kann er es zunächst problemlos spielen. Doch in 
regelmäßigen Abständen sucht ein Unterprogramm nach winzigen Code- 
Schnipseln, die auf der Original-CD versteckt sind, jedoch von jedem 
herkömmlichen CD- Brenner als Fehler gedeutet und dann getilgt werden. 
Findet das Wachprogramm die subversiven Originalfehler nicht mehr, ist das 
Spiel als Kopie enttarnt. Daraufhin beginnen die Bits zu bröseln, der 
Spielspaß wird nach und nach zum nervenden Kampf gegen den Verfall. Doch 
bis dahin, so das Kalkül der "Fade"-Macher, sind die neuen Nutzer bereits 
von dem Spiel "angefixt" und deshalb bereit, eine kostspielige 
Originalversion zu kaufen.

Ganz neu ist das Verblasser-Prinzip zwar nicht, doch nun könnte es sich 
rasch zum Standard entwickeln, denn Macrovision gilt als eines der 
einflussreichsten Kopierschutzunternehmen für digitale Inhalte oder, wie es 
auf Neudeutsch heißt, für "DRM" ("Digital Rights Management").

Mit "Fade" kommt Bewegung in die festgefahrenen Fronten zwischen den 
Wortführern der Piraterie und den Verfechtern rigorosen Kopierschutzes. 
"'Fade' baut keine starren Barrieren auf, sondern spielt mit den Wünschen 
der Nutzer", lobt Bill Rosenblatt, Medienberater in New York und 
Herausgeber des Newsletters "DRM Watch": "'Fade' steht für eine neue 
Denkrichtung. Ich nenne so etwas ,psychologischen Kopierschutz'."

"Der Spieltrieb der Nutzer wird nicht einfach abgeblockt, sondern 
vorsichtig umgelenkt", schwärmt auch Michael Paul von der Herstellerfirma 
Codemasters: "Die Verschlechterung der Raubkopie soll motivieren, das 
Original zu kaufen."

Gerade weil allzu starrer Kopierschutz nicht die erhofften Erfolge bringt, 
wird der spielerisch-dynamische Ansatz attraktiv. So ließ die Britpop-Band 
Oasis vergangenes Jahr einer Ausgabe der britischen "Sunday Times" 
Probe-CDs beilegen, geschützt von einem IBM-System namens EMMS. Die Songs 
ließen sich nach dem Registrieren jeweils viermal anhören. Wer sie ein 
fünftes Mal hören wollte, musste zahlen.

Weitaus eleganter geht ein Verfahren namens "Light Weight DRM" vor, 
entwickelt am Fraunhofer-Institut in Erlangen. Hier kennt man die 
Problematik, schließlich wurde hier vor über zehn Jahren das MP3-Format 
entwickelt, das heute die Musikindustrie in Bedrängnis bringt.

"Light Weight" nimmt die Kunden sozusagen an die lange Leine: Die Nutzer 
können so viele Kopien brennen und verteilen, wie sie wollen - unter einer 
Bedingung: Ihre Identität wird der Datei mit einem beglaubigten digitalen 
Stempel eingeprägt. Wenn später dieses Musikstück in einer Tauschbörse 
auftauchen sollte, ließe sich der Verantwortliche leicht ermitteln: "Der 
Begriff Sicherheit bedeutet dabei nicht Schutz vor Kopien, sondern 
Sicherheit vor Missbrauch im großen Stil", so die Autoren.

Microsoft will Druckwerke durch psychischen Druck schützen: Um 
elektronische Bücher zu schützen, kann das System "Digital Asset Server" 
jeder elektronischen Kopie den Namen und die Kreditkartennummer des Käufers 
aufprägen. Derart sensible Daten, so Microsofts Hoffnung, werde der Kunde 
nur an seine engsten Freunde weitergeben - und deshalb schon aus eigenem 
Interesse das E-Book niemand anders überspielen.

Der Wettlauf geht derweil bereits in eine neue Runde: Im Frühjahr soll eine 
neue Version von "Fade" kommen, mit erweiterter Funktionalität: 
Raubkopierte Filme könnten dann genau an der spannendsten Stelle 
verblassen. Die Aktualisierung ist dringend notwendig, denn auch "Fade" 
verblasst seinerseits: In einschlägigen Internet-Foren kursieren längst 
Gegenmittel.

HILMAR SCHMUNDT

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