Matze Schmidt on Tue, 30 Sep 2003 11:27:48 +0200 (CEST)


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Re[2]: [rohrpost] kriegsmarkt streaming bagdad


Monday, September 29, 2003, 12:52:39 PM, signifikant wrote:
> [x] Protokoll: Klaas Glenewinkel, Medienproduzent [1]
>
>
> was ist denn ein "medienproduzent"?
> und warum wirds nicht unter [1] erklärt?

unten i.d. e-mail ganze txt aus "Berliner Gazette, 24.09. [Wheeler]"

grusz

m



Boom in Bagdad
oder: >>Der Sommer geht; Bagdad sucht den Superstar.<<

[ ] Protokoll: Klaas Glenewinkel, Medienproduzent [1]

18.06.2003: Die Fahrt von Amman nach Bagdad habe ich gut ueberstanden. Nur
ab und zu anhalten waere auf 600 km Wuestenfahrt nicht schlecht gewesen.
Aus Angst vor Ueberfaellen weigerte sich jedoch mein Fahrer. Er selbst
schien keinerlei Verdauung zu haben.

Die erste Nacht war dann unertraeglich. Von Maschinengewehrsalven bin ich
ein paarmal schweissnass aufgewacht und habe schlecht getraeumt. Es sind
nachts etwa 35 Grad und 50 Grad am Tag. Bei Stromausfall bringt auch der
Ventilator keine Frische oder wenigstens die Illusion davon.

Hier reden alle von >der Gefahr<, vor allem nach dem Anbruch der
Dunkelheit. Die Ursache sind die sogenannten Ali Babas, amnestierte
Schwerverbrecher, die sich durch Meuchelmord Respekt verschaffen.

Wer die Gefahr sucht in Bagdad, begibt sich an die Seite eines US Soldaten
oder in die Naehe eines irakischen Polizisten. Ein kleiner Witz sagt: Pro
totem Amerikaner gibt es zwei Stunden keinen Strom. Strom fliesst uebrigens
nie laenger als drei Stunden ohne Unterbrechung.

Zu Mittag habe ich mit ein paar Maschinenbaustudenten der
al-Mustansirijah-Universitaet gegessen. Da ich bei dem Thema Maschinenbau
aber nach wenigen Saetzen versage, waren wir gleich bei ihrem zweiten
Lieblingsthema: Das Judentum. Sie beklagten, dass Hitler nicht nach Arabien
sondern nach Deutschland gekommen ist. Schwarzer Humor ueberkam mich und
ich lud sie nach Marzahn-Hellersdorf ein, um den Austausch mit
Gleichgesinnten fortzusetzen.

Schweissgebadet sitzte ich in einem der vielen Internet-Cafes, links neben
mir der typische abbasidische Moslem im gebuegelten Hemd mit Magnum-Bart
und rechts der 20-jaehrige US-Soldat im Wuestenlook: mit dem
Maschinengewehr zwischen den Beinen beim Emailchecken. Das Ding wuerde ihm
glatt das Kinderlaecheln wegblasen, wenn er aus Versehen auf seinen
Sex-Spam klicken wuerde.

Jetzt ist meine Zeit im Internet um. Ich nehme mir ein Taxi und hoffe, dass
kein Ali Baba am Steuer sitzt.

August 2003: Wer Geschaefte machen will in Bagdad, hat es nicht leicht.
Obwohl die Steuerfreiheit lockt, kann schon die Autobahn Amman-Bagdad zur
ersten Finanzierungsrunde werden. Eine andere Strasse in diese Stadt gibt
es nicht.  2000 Menschen befahren taeglich den abenteuerlichen
Handelskorridor, beladen mit Satellitenschuesseln, Gebrauchtwagen und
anderen Konsumguetern. Westliche Neueinsteiger werden von den Ali Babas mit
ihren weissen BMWs und den schwarzgetoenten Scheiben diskret bedraengt.
Dann heisst es rechts ranfahren und Geld abgeben.

Das haben alle schon einmal mitgemacht: Der Alcatel Mitarbeiter, das Rote
Kreuz und sogar die deutsche Botschafterin, allein sie ist angeblich
weitergefahren, denn der Wagen war gepanzert. Bagdad ist attraktiv fuer
Geschaeftsleute aus dem Ausland, denn der Handel ist bis auf weiteres
steuerfrei, hier kann man fuer viel Geld loswerden, was auch zuhause gut
funktioniert: BMWs und Satellitenschuesseln.

Aber auch die mutigen Wissenschaftler sind dabei; das Fraunhofer Institut
moechte dort die neuen Internet-over Satellitensysteme an den Mann bringen,
ein Hamburger DJ-Kollektiv Scheiben drehen und ein prominenter Berlin-Mitte
Kneipier einen Laden eroeffnen. Boomed Bagdad? Klar, aber Aufpassen schadet
sicher nicht.

Obwohl entlang der Uferpromenade des Tigris bereits wieder Karpfen gebraten
werden und man im Englisch Club bei Dattelschnaps und Arrak Tennis schaut,
sollte der auslaendische Gastronom das Bier besser in Cola Dosen verkaufen;
cleveres W-LAN hat man dort bereits aus Dubai oder China. Was ist also der
heisse Wind Of Change?

Die meisten Bagdader sind unter 30. Unter ihnen sind nicht nur
traumatisierte Baathisten und radikale Schiiten, sondern auch Studenten,
Intellektuelle, Kuenstler und gewiefte Entrepreneurs, die das Umkrempeln
ihres Landes nicht allein Regierungen und NGOs ueberlassen. Die Zukunft
Bagdads wird sicher davon abhaengen, was diese Leute tun und wo sie es tun.

Gemeinsam mit der Universitaet Bagdad (entworfen 1957 von Walter Gropius)
planen wir zur Zeit den Aufbau von Bagdad FM, ein Community Radiosender in
arabischer Sprache - vor Ort.

1. mailto:klaas@streamminister.de
2. http://www.thenation.com/doc.mhtml?i=20030804&s=editors
3. http://www.telepolis.de/deutsch/special/irak/15344/1.html
4. http://www.crisisweb.org/projects/showreport.cfm?reportid=1120
5. http://www.freitag.de/2003/30/03310301.php

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