ritchie on Mon, 27 Jan 2003 07:50:11 +0100 (CET)


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[rohrpost] Deutschland sucht Starmania


hej,

hab fürs nexte gap einen artikel über genannte
shows verfasst. jetzt, wo monochrom uns nicht mehr -
wie ich voller entsetzen festgestellt habe -
neidig ist, wird's zeit für die ernsten, ja die
weltbewegenden themen. hence auch für die
<rohrpostler>.

'nen sonntag,
greetZ.ritchie




Wir erkennen gute Musik (wenn wir sie hören)

An TV-Events gewiss nicht arm ist das deutsche Privatfernsehen. Doch so
schwer es auch fallen mag, den Film-Film der Woche an Einzigartigkeit zu
übertrumpfen: Natalie ist nicht mehr allein am medialen Babystrich und
Ritchie Pettauer übt sich in Bohlen’scher Algebra.


Einlauf

Gaben Milli Vanilli in den glorreichen 80ern mit ihrem Nicht-Gesang immerhin
noch einen veritablen Skandal ab, weil sich die Hörerschaft durch
geografische Trennung von Gesicht und Stimme gefrotzelt zu fühlen beliebte,
läuteten die No Angels die in der Mainstream-Popkultur längst überfällige
Ära der Aufklärung ein. And beautifully they sang, I must admit...  Denn dem
Unbestimmten der Medien, des Fernsehens bringt der Zuschauer Misstrauen
entgegen, wie Boris Groys richtig erkannte. Subliminierte oder verdrängte
Elemente unter der oft beschworenen glanzvollen Oberfläche der Popwelt
liefern im Jahrtausend der Fusion des Debord’schen Spektakels mit seiner
eigenen Inszenierung bestenfalls noch Short News fürs Magazin 25. Da sind
TV-Pop-Castingsshows mit beinahe garantierter Gold- und Platinveredelung
bloß logische Konsequenz: ein crossmediales Spektakel, das verglichen etwa
mit „Star Wars“ läppische Produktionskosten verschlingt und dennoch eine
Verwertungskette nach sich zieht, in der sich die wahre Fantasie der
Produzenten manifestiert.

Einen Gewinn allerdings stellen derartige Pop-Casting-Spektakel ob geradezu
garantierter Gold/Platin-Veredelung nicht nur für alle Beteiligten, sondern
auch für das Publikum dar: soll am Land eine neue Kirche gebaut werden, ist
es nicht unüblich, bei den Schäfchen der Gemeinde Spenden für einzelne
Ziegel einzusammeln. Symbolischer Mehrwert der Aktion: andächtig im fertigen
Gotteshaus sitzend darf sich jeder Gläubige am Gedanken erfreuen, ein
Stückchen der fertigen Kathedrale mitzuverantworten. Dass sich im Übergang
zur Mediengesellschaft Ziegel problemlos durch SMS ersetzen lassen, sollte
nicht extra angemerkt werden müssen. Wir haben es hier also mit ganz neuen
Involvment-Konzepten zu tun, mit neuen Kunstkonzepten allerdings kaum. Darin
liegt auch meiner Meinung das grundlegende Hund begraben, da manifestiert
sich das Missverständnis: Musik kann auch Kunsthandwerk sein. Aber das
wollen ihr die Um-jeden-Preis-alternativ-Radikalen einfach nicht zugestehen.
Dreht doch den Fernseher ab, wenn’s euch nicht passt. Aber beklagt euch um
Gottes willen nicht über irgendwelche Pervertierungen des Künstlerbegriffs.
Stellt euch einfach vor, „Starmania“ wie „Deutschland sucht den Superstar“
seien eine gigantische Duchamperie unter Bedingungen des Medienzeitalters:
die Kandidaten als Readymades, die man nur mehr in wenigen Wochen –
tänzerisch, gesanglich, optisch – kontextualisieren muss, und der
öffentliche Raum des Fernsehens fungiert dabei als musealer
Ausstellungsraum.


Die Herleitung

Wie bereits angedeutet, ist es medienökonomisch mehr als konsequent, die
Entstehung einer Popgruppe als billig produzierte Fernsehzeit zur Auffüllung
der lästigen Pausen zwischen den Werbeclips zu instrumentalisieren. So sehr
musikun- und –verständige Diskursanalytiker zumindest auf der Hysterieebene
Parallelen zwischen Beatles und den New Kids on the Block zu ziehen
versuchten - immer lautete der inhärente Vorwurf, dass letztere eine
„zusammengecastete“ Band seien, während erstere sich eine ehrenhafte, eben
nicht a priori an Kommerz-Extrapolation orientierte Entstehungsgeschichte
auf die Fahnen schreiben durften. In jenem alles entscheidenden Moment
dieser tausendfach auf Raucherklos, in Teenager-Zimmern, bei TV-Diskusionen
und zu 1000 anderen Gelegenheiten wiederholten Diskussion breitet sich im
Raum für gewöhnlich ein strenger Duft aus: es riecht nach Autorenmusik.

Während in anderen Gefilden durch digitales Sampling, daily noises,
Workstations und die HardSoftSoundWareMaschine der Autorenbegriff also
unaufhaltsam dem reinen Pragmatismus anheim gefallen ist, unterstellte man
der Popmusik zumal in ihren nachhaltigen Momenten so etwas wie den
erweiterten „Geist des Komponisten“. Man sah sich bestätigt durch
musikjournalistische Abarbeitungen an biografischen Splittern. Man würdigte
altvordere und verdiente Bands wie U2 und mokierte sich fallweise darüber,
dass die „heutige Popmusik keinen Bestand mehr habe und ausschließlich
One-Hit-Wonders hervorbringe“, dass „keine Plattenfirma mehr bereit sei,
eine Band über mehrere Jahre hinweg aufzubauen“, dass „bereits die erste
Single charten müsse“ und so weiter. Nun mag der Unwillen der meisten
Labels, Superherorockstar-Experimente allzu häufig zu wiederholen, nicht
unbedingt der primäre Grund sein für die beklagte Entwicklung: Popmusik
durchlief in den letzten zehn Jahren in Europa eine erstaunliche Phase der
Professionalisierung, muss hohen visuellen wie akustischen Standards
genügen, um überhaupt Airplay zu bekommen und wurde zu einem Geschäft für
Spezialistenteams: Style-, Choreografie-, Kompositions-, Tanz- und
Fitnesstrainer-Dudes, Stage-Show Designer, Booker, etc. gehören mindestens
zum Kernteam, dementsprechend groß sind finanzieller, organisatorischer und
nicht zuletzt zeitlicher Aufwand. Verständlich, dass man da ungern Risiken
eingeht: Ökonomisch betrachtet würde jede Firma in einer solchen Situation
erst einmal exzessive Marktforschung betreiben, Durchdringungschancen neuer
Produkte abtesten, wie es Formatradios ja auch beständig tun. Plattenfirmen
tun das im übrigen ohnehin, versuchen ständig, die Erfordernisse und Wünsche
des Marktes zu antizipieren – aber wer kennt die Erfordernisse besser als
der Markt selbst? Oder anders gesagt: Popstars werden nicht in Garagen
produziert. Zumindest nicht gezielt.

Anstatt teure Meinungsforscher zu beauftragen, lässt man also die
Grundgesamtheit per teurer 900er-Rufnummer ihre Meinung direkt kund tun.
Denn während jeder Jury mal ein Irrtum unterlaufen kann, täuscht sich das
Publikum nie – höchstens in der Frage, was es denn da eigentlich bewertet.
Ein naiver Narr, wer glaubt, dass im Zeitalter der Medien sich nur Politik
ins Symbolische flüchte: sollte einer der Teilnehmer so etwas wie den Willen
zur eigenen Kreativität verspüren, dürfte der para-militärische Drill der
„wunderschönen Vorbereitungszeit“ derartige Illusionen schnell zerplatzen
lassen. Denn hier ist der Weg das Ziel: mögen sich die Kandidaten einreden,
dass sie die Pop-Matura absolviert haben, mögen sich die Zuschauer freuen
über die Entstehung neuen Pop-Lebens: letztendlich durchläuft hier jeder
einen Kompabilitätstest unter den Bedingungen der Fernsehrealität. Das hat
Thomas Miessgang einfach nicht verstanden, wenn er in seinem in Semantics II
veröffentlichten Text „Music most wanted“ die Rückkehr der Spontaneität
fordert.


Die Ausschaltung des Zufalls

An diesem Punkt sollte auch der langsamste Leser kapiert haben, dass wir
hier nicht vom Geiste der Musik sprechen sondern vom Gespenst des
Fernsehens. So sind die Outtakes ja nur deshalb lustig, weil sie die
tatsächliche Differenz zwischen Superstar und Wannabe deutlich zum Ausdruck
bringen, während die Sendung selbst an der Aufhebung der Differenz arbeitet.
So mühen sich die Qualifizierten Woche für Woche ab, einem verwaschenen
Idealbild des Startums nahe zu kommen, das nie ganz konturenscharf werden
kann, weil es sich eben über sein Funktionieren definiert. Und sie tun dies
gerade, indem sie bestehende Tools, Outfits, Lieder und Bewegungen
benutzen – welch komplexe Spielart der Mini-Playback-Show! Oder etwa doch
die unter technischen Bedingungen gedehnten „5 minutes of fame“ Andi
Warhols? Denn was die No Angels, die Bro’Sis, die Sieger von Starmania und
der Bohlen-Show auch immer taten, tun, getan haben werden: ihre
Nummer-Eins-Hits sind integraler Bestandteil der Show und von Anfang ebenso
enthalten wie allfällige Beziehungsdramen, die schon im Vorfeld des Startums
originären Content für begleitende Magazine bieten. Aber damit diese ganze
Verwertungskette einigermaßen in geordneten Bahnen bleibt, damit Hotelzimmer
auch wirklich nur dann zertrümmert werden, wenn der mediale Fokus
weiterzuschwenken droht, muss das Fernsehen selbst auf die Kandidaten als
Korrektiv zurückwirken: sie absolvieren ja ihre Ausbildung zum Popstar unter
den wachsamen Blicken der Menge, die ein erfolgreiches Ende der Ausbildung
ebenso voraussetzt wie bedingt.

Deutschland ist da übrigens in jeder Hinsicht besser dran als Österreich –
denn: die haben Dieter, wir haben Bogdan. Die haben Michele, wir haben
Arabella. Wir haben Spiegel, die haben niemanden. Vor allem aber haben die
da drüben eine viel größere Grundgesamtheit, daher auch die wesentlich
besseren Finalisten, mehr Zuschauer... eben eine andere Economy of Scales.
Während „Starmania“ bestenfalls die öffentliche Musikförderung ersetzen und
vom Vorwurf der verdecken Tendenziösität befreien kann, der Musikergilde
vielleicht noch trotzige Argumente liefert, warum die österreichische „Szene
“ eh leistungsfähig ist, kann die Sendung vor allem eines nicht: Austropop
2.0 zum Leben erwecken. Eine inländischen Popmarkt kreieren. Die
Initialzündung sein für eine nie gekannte Kreativitätsexplosion. Nein, denn
solche Shows sind nichts weiter als ein wirtschaftlich motiviertes
Grenzphänomen zwischen Fernsehen und Pop, eine reibungslos laufender,
selbstreferentieller Apparat. Eben beste Fernsehunterhaltung, wie sie dem
ORF seit seiner pragmatischen Privatisierung wohl gut zu Gesichte steht.
Oder erfüllt „Starmania“ einen Teil des Kulturauftrags? Dann sähe ich meine
Steuern aber lieber in der Staatsoper verbraten als zur Quersubventionierung
von Major Labels.

So breitet sich einzig ein schaler Geschmack im Mund aus, fragt man sich,
was folgt. Aber der Schreiber dieses Artikels hat auch hier die passende
Antwort parat: Wie wär’s mit „Deutschland sucht den Pornostar“? Da könnte
man nebst passenden Soundtracks auch gleich zu jeder Soft-Ausgabe im
Fernsehen auch gleich die Hardcore-Version für den Dolly-Buster Shop um die
Ecke auf DVD pressen. Gina Wild, die ja ohnehin ins seriöse Business
wechseln will, dürfte co-moderieren und Stefan Raab hat zur Abwechslung mal
wieder ein anderes Thema, das seiner Show steigende Quoten und ihm einen
neuen Schlager bescheren könnte. Das nenn ich noch mehr Mehrwert.

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