Tilman Baumgaertel on Wed, 2 Oct 2002 12:45:17 +0200 (CEST)


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[rohrpost] CODeDOC


Geschrieben für die Taz

Gruesse, 
Tilman 

-------------SCHNAPP-----------------------

Sehr "inhaltsreich" 

Eine Internet-Ausstellung des Whitney-Museums zeigt neue Netz- und
Software-Kunst. Herausgekommen sind Arbeiten, die nur Nerds lieben können

Von Tilman Baumgärtel


Computercode wird gerne mit Musik-Partituren verglichen und das zu recht:
so wie der Musiker beim Spielen eigentlich Befehle ausführt (Noten sind im
Grunde nichts anderes), so gehorcht auch der Computer Befehlen, die der
Programmierer ihm - in Form eines Programms - eingegeben hat. Und so wie es
für den Nicht-Musiker meist wenig erhellend ist, Noten zu lesen, so nützt
es demjenigen, der nicht programmieren kann, nichts, wenn er den Code eines
Programms zu lesen bekommt. 

Die einfache Einsicht ignorierend hat das Whitney-Museum nun eine
Ausstellung mit zwölf Computer- und Netzkunst-Arbeiten zusammengestellt,
bei der nicht nur die Werke selbst, sondern auch deren Quellcode gezeigt
werden. CODeDOC heißt die Online-Ausstellung, die zur Zeit auf der Website
des New Yorker Museums zu sehen ist. Zusammengestellt von Christiane Paul,
die seit einiger Zeit online wie offline sehr verdienstvolle Ausstellungen
mit digitaler Kunst für das Whitney kuratiert, präsentiert CODeDOC Arbeiten
von US-amerikanischen Künstlern, die das Museum in Auftrag gegeben hat. 

Wer eine der Arbeiten anklickt, bekommt erst eine Website mit einer
Buchstabenwüste geliefert - das ist der Computercode, der "hinter" dem
jeweiligen Werk steckt. Erst dann kann das Kunstwerk selbst besichtigt
werden. Das macht die Ausstellung vor allem für diejenigen unter uns zu
einem Vergnügen, die es verstehen, Codebrocken wie die folgenden zu lesen:
"difH = abs(startH - averageH)   difV = abs(startV - averageV)
pDiameter = sqrt((difH*difH) + (difV*difV))" Für Nicht-Geeks bietet die
Enthüllung des Quellcode wenig erhellendes. Kevin McCoy hat wenigstens den
Code kommentiert, damit auch Leute, die nicht seit ihrem zwölften
Lebensjahr in Lingo programmieren, eine Ahnung davon bekommen, was sich
hinter Befehlen wie doneFlag = 0   repeat with x = 1 to spriteList.count
verbergen mag. Ansonsten malt sein Programm "Circler" von selbst immer neue
Kreise - na ja, wenn's ihm Spaß macht. 

Ähnlich selbstgenügsam produzieren auch die Arbeiten von Mark Napier,
Camille Utterback, Scott Snibbe und Martin Wattenberg abstraktes
"eye-candy", das stark an die Computerkunst der 60er Jahre erinnert. Was
man mit ein paar Programmiertricks auch machen kann, zeigt die amüsante
Arbeit "Axis" von Golan Levin, bei der man nach eigenem Gutdünken "Achsen
des Bösen" aus allen Ländern der Erde zusammenstellen kann. Mexiko, die USA
und Kanada wären zum Beispiel die "Achse der Öl-produzierenden,
Cannabis-kultivierenden, von den USA Waffen kaufenden Nuklearmächten." 

Doch trotz einiger gelungener Arbeiten wie dieser hinterlässt CODeDOC einen
faden Nachgeschmack: Denn die Ausstellung zeigt auch, wie aus dem Hype um
"Software-Kunst", der seit zwei oder drei Jahren durch die
Medienkunst-Szene geistert, schnell ein ödes Abfeiern technischer
Virtuosität geworden ist, bei der Ideen und Inhalte zweitrangig sind. Was
als kritische Intervention in eine wichtige gesellschaftliche
Produktivkraft, nämlich Computerprogramme, begonnen hat, ist hier nur noch
ein weitgehend sinnfreies Vorführen von Programmierer-Knowhow, zu dem sich
die Teilnehmer des Ausstellung gegenseitig beglückwünschen dürfen: Auf der
Website von CODeDOC haben einige der Künstler Kommentare zu den Arbeiten
ihrer Kollegen hinterlassen, und da schreibt zum Beispiel Scott Scribe über
die Arbeit von Golan Levin: "Dein Code ist sehr elegant." Und auch sonst
wird von den Mitkünstlern "gutes Handwerk" und "sehr kompetentes
Programmierung" hervorgehoben; außerdem sei die Arbeit "very content-driven". 

Hätte wohl jemand Andy Warhol oder Joseph Beuys das Kompliment gemacht,
ihre Arbeiten seien "sehr inhaltsreich"? Dass sich eine Reihe von
Programmiererkünstlern gegenseitig connaisseurhafte Komplimente zu
besonders gewitzten Codezeilen machen, war bei der Computer- und Netzkunst
nicht immer das vordringlichste Ziel. Eigentlich ging es in diesem Bereich
ursprünglich mal darum, genau diese Technologien einer kritischen,
künstlerischen Überprüfung zu unterziehen, statt sie besonders pfiffig
einzusetzen. CODeCOD zeigt dagegen vor allem Kunst, die nur Nerds lieben
(und verstehen) können. Es dürfte kein Zufall sein, dass unter den zwölf
Teilnehmern nur eine einzige weibliche Künstlerin ist - das zweckfreie
Herumbasteln mit Technik war schon immer eher eine Männerdomäne. 

Es ist zwar durchaus lobenswert, dass in einer Ausstellung einmal daran
erinnert wird, dass hinter einer ständig wachsenden Zahl von
Alltagsverrichtungen Computerprogramme ablaufen. Software und Code gehören
zu den wichtigsten Rohstoffen der Informationsgesellschaft, und darum ist
es auch ein legitimes Anliegen der bildenden Kunst, sich mit diesem
"Material" auseinander zu setzten. Aber die meisten Arbeiten, die bei
"CODeDOC" zu sehen sind, haben wenig Interesse an den Auswirkungen von Code
auf die wirkliche Welt jenseits des Computers, sondern freuen sich lieber
still an den Bildern, die ihre kleinen Programme auf dem Monitor produzieren. 

Die Offenlegung des Codes soll der Kunst natürlich etwas von dem
Hipness-Faktor sichern, den Open-Source-Programme wie Linux nach wie vor
besitzen; einige der Künstler sind sogar so weit gegangen, ihre Arbeiten
unter die "GNU Public Liscence" zu stellen. Aber Linux ist gerade deswegen
so ein wichtiges Thema geworden, weil es den derzeitigen Status Quo von
Software-Produktion und -Vertrieb hinterfragt - nämlich die Tatsache, dass
Microsoft als Software-Firma auf dem PC-Markt ein Quasi-Monopol hat. Daran
kann man nicht anknüpfen, indem man den Code seiner müden
Software-Kunstwerke offen legt; da müsste man sich als Künstler schon
wirklich mit der Politik und der Kultur von Software auseinandersetzen. An
einem echten Interesse daran ist bei CODeDOC jedoch wenig zu bemerken.



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Codedoc
http://www.whitney.org/artport/commissions/codedoc

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