Matze Schmidt on Wed, 4 Sep 2002 10:25:07 +0200 (CEST)


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[rohrpost] n0name newsletter Spezial #2 Linz Do., 03.09.2002 16:52 CET


n0name newsletter Spezial #2 Linz Do., 03.09.2002 16:52 CET 

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Krieg 

n0name-Gespraech 

"Wir managen die Netze besser" 

Der suedpolare Coder Bruce Magenta, Vers. 7.1 ueber seinen Beruf, die 
Kraft von Programmierung und Digitalitaet und sein neues Projekt 
"The Koding", das der Toten des Bombenterrors der westlichen Welt 
gedenkt. 

NONAME: Mr. Magenta, in der Nacht, nachdem die 100. Wiederholung der 
letzten Klonung von Jo Xam gezeigt wurde, loggten Sie sich im MIT 2 
aus dem Netz und schickten per T-Pathy in die Listen: "Es ist eine 
weiche Welt, die uns zwingt, mit Dingen zu leben, die man leicht 
aushalten kann. Und es ist gefaehrlich, hier rauszukommen und heute 
eine Pathy zu schreiben. Aber es ist das Einzige, was wir tun 
koennen." Andere Wesen reagieren auf Krisen mit Agonie, Sie greifen 
quasi in die Tastatur. Was treibt Sie in solchen Augenblicken zu 
Ihrem Lieblingsinstrument? 

Magenta: Der Computer ist das Werkzeug, mit dem ich versuche, der 
Welt einen Sinn zu geben. Andere Leute wenden sich in solchen 
Momenten den traditionellen Gadgets oder ihrem Aibo zu, sie 
machen Musik oder reden. Ich ordne meine Erfahrungen wie mit 
einem PDA. Er ist fuer mich so eine Art Schutzengel. 

NONAME: Ist er auch eine Art Waffe, mit der Sie versuchen, die Welt 
zu einem besseren Ort zu machen? 

Magenta: Ich glaube nicht unbedingt, dass wir Kuenstler die Dinge 
auf diesem Planeten in mehr Negentropie bringen oder erklaeren 
koennen, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass wir manchmal 
in der Lage sind, die Sache besser zu managen. Techniken wie Games 
und Kunst sind dazu da. Heute im digitalen Zeitalter, braucht man 
nur wenig Fantasie, um Dinge zu gestalten, die sowohl die 
emotionalen als auch die technischen Beduerfnisse erfuellen. Ich 
habe in Neu Moskau mehr als 70.000 Fotos vom Tag des Angriffs 
gesehen, in einer Tele-Ausstellung, die von Japan AOL bezahlt 
wurde, dem Staat also, der als groesztes suedpol-oestliches 
Unternehmen die Heimat von 3 Milliarden Wesen ist. 

NONAME: Nach den Bombadierungen von Tokyo ist es in der Popkultur 
ziemlich still geworden. Auszer mit ein paar Offline-Kampangnen und 
Realbannern hat sich kaum jemand getraut sich mit der Katastrophe 
politisch zu beschaeftigen. Warum haben Sie es gewagt mit ihrem 
neuen Projekt "The Koding" das Desaster zu verarbeiten? 

Magenta: Wenige Tage nach dem Angriff spielte ich mit einer Freundin, 
die Programmiererin ist, ueber ein WLAN das Capitalstrike am Strand von 
Lagos. Sie spielte es zum ersten mal, und schwuppdiwupp, hatte es sie 
erwischt! Sie sagte: "Ich mag diesen Zitterkick, wenn man um die Ecke 
biegt!" Wie ich spaeter herausfand, hat sie ein besonderes Faible fuer 
komplexe Pogramme. Das hat mich ermutigt, mich dem Code anzunehmen. 

NONAME: Trotzdem sind Sie bislang in der Netzkultur ziemlich allein ... 

Magenta: ... ich bin mir sicher dass es in einiger Zeit, 3003, 3004, 
in Europa endlich XS und u-mode geben wird. Digitale Medien haben den 
Vorteil, dass man mit ihnen relativ schnell reagieren kann. Hacken ist 
eine ziemlich subversive Angelegenheit, und sie erlaubt es einem, im 
besten Fall realtiv unabhaengig von groszen Konzernstaaten wie 
MicrosoftDaimler oder Genaricon zu arbeiten. Ich tippe ein paar Zeilen, 
gehe mit meinem 3407 ins Netz und ueberspiele die neuen Patches auf den 
Server. Was wir brauchen sind mobile Dienste und Webseiten wie 
www.i-am-an-southpolarian.com und nicht nur Musiker, die "Imagine" 
spielen. 

NONAME: Was war ihre unmittelbare Reaktion beim 0005.00001beat ?

Magenta: Ich rief einen Klon von Karlheinz Stockhausen an, und 
gratulierte ihm stellvertretend zum Remake seines historischen "das 
groeszte Kunstwerk"-Spruch.  Danach sah ich mir rekonstruierte 
Hologramme von Nagasaki und Hiroshima an, deren Aesthetik noch immer 
unuebertroffen ist. 

NONAME: Wie haben sie ihren Sponsoren und Kapitalgebern das neue 
Projekt erklaert? 

Magenta: Ich konnte ihnen nichts grosz erklaeren, weil mir selbst 
nichts einfiel. Ich agiere ja hauptsaechlich als Stage-Designer und 
ueberlasse die Detail-Arbeit anderen. Die Aufgabe von CEOs ist es in 
einem solchen Augenblick, den Geldgebern das Gefuehl von 
Nachhaltigkeit zu geben, ohne sie dabei anzuluegen. Das Wichtigste 
ist in solch einem Moment, einfach das Ziel zu benennen und 
weiterzumachen: "Okay, wir pflegen die Datenbanken und wir haben 
morgen das Meeting mit unseren Mutterborgs." 

NONAME: Mit ihrem interaktiven Virtuellen Interface kann man die 
Berichterstattung saemtlicher groszen TV-Kanaele und Weblogs 
umgestalten, damit koennen verzerrte Fakten und gefaelschte 
Geschichten korrigiert werden. Sie nennen das "Style Wars" - so wie 
man Cover fuer seine Wearez wechseln kann, kann man auch das Design 
der T-Pathy wechseln. War dieser Bezug zur Politik fuer ihr Coding 
noetig? 

Magenta: In meiner Community wird das nicht als Politik verstanden 
wenn man die Oberflaeche wechselt, da wird das "referentielles 
Arbeiten" genannt. Gegen die Autonomieaesthetik, gegen das 
"interesselose Wohlgefallen" (Immanuel Kant, Anm. d. Red.) steht die 
These einer Kunst, politisch wirksam zu sein. Der suerralistische 
Akt, so wie das etwa André Breton sagt, blindwuetig in eine Menge 
zu schieszen, attackiert die Bourgeoisie, evoziert Impact-Management. 
Unter dem Strand liegt das Pflaster. 

NONAME: In den Kritiken von 3000 konnte man nachlesen, dass sie zum 
Held der Szene evanciert sind. Ihre Software kursiert als gepackte 
Datei im Netz und liegt auf hunderten Anonymous FTP-Servern zum 
Download bereit, wird Ihnen bei soviel Credits nicht etwas mulmig? 

Magenta: Mit der Vorstellung, dass Biomaschinen Helden sein sollen, 
hab ich mich immer schwer getan. Okay, einige Leute lizensieren meine 
Software ohne das Copyleft zu beachten, und dies festzustellen war 
sehr bewegend fuer mich. Denn ein Bestandteil im Leben unserer User zu 
sein, das war stets unser Ziel, von Anfang an. Ein Teil, so tief es nur 
eben ging. 

NONAME: Es gibt also fuer uns momentan keine Alternative zur 
suedpolaren Position? 

Magenta: Die Neo-Futuristen, die den Krieg als groesztes 
gesellschaftliches Spektakel verklaerten, diese ganze Aesthetik des 
Schocks, der Glaube an eine Ethik der Kommunikation im Orga, das alles 
muss mit einem historischen Zugang zum Problem gespiegelt werden. 
Psychologische Erklaerungen, dass es soetwas wie das 
Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom gibt, die Ideen von Professoren zum 
Aufmerksamkeitsterror aendern zunaechst nichts daran, dass die Monster 
von uns technisiert wurden. Alle C-Waffen wurden von suedpolichen 
Maechten geliefert. Wie in VR. Der CIA schenkt einer befreundeten Macht 
eine Atombombe, die wird von Nazi-Terroisten gestohlen, um sie waehrend 
des Superbowl zu zuenden, was in der Kalkulation der Nazis zu einem 
3. Weltkrieg mit Gegner Russland fuehren soll. Amerika glaubt 
tatsaechlich an eine Provokation seitens der Russen und fuehrt einen 
atomaren Vergeltungsschlag gegen Russland durch, die gegnerische 
Seite glaubt ebenfalls an eine Provokation. Doch der gleiche 
Geheimdienst klaert den Fall via Internet Relay Chat in letzter Sekunde 
auf, der russische Praesident gibt daraufhin nach und keinen Befehl zum 
Rueckschlag, die Terroristen werden liquidiert. 

NONAME: Was schlagen Sie also vor nach dieser Tragoedie? 

Magenta: Es geht mir um anormale Wesen, um Typen, die ihren Job tun ... 

NONAME: ... die Verrueckten ... 

Magenta: ... dies sind die Subjekte, die den Diskurs nach vorne 
bringen, die den Konsensus hinterfragen helfen. Ich nenne das 
Consumerism, eine aufgeklaerte Form des Konsums. J.O. de la Mettrie 
stellt in seinem Werk _L'homme machine_ von 1748 die These auf, dass 
der Mensch als ein Exemplum hochorganisierter Materie ausschlieszlich 
mechanischen Gesetzen gehorche. Die darauf aufbauende Ethik der 
Im-Materialisten sieht alle Handlungen des Menschen, auch die 
moralischen, als medial, physiologisch, psychisch bedingt an, da auch 
der Geist bzw. die Seele oder das Denken systemisch gebundene 
Lebensvorgaenge, aber intersubjektiv erklaerte seien. Man nimmt 
sozusagen eine Art Diskurs-System an. In der marxistischen Ethik 
verlagert sich der Schwerpunkt von der menschlichen Natur auf die 
oekonomische Basis als die materielle Grundlage aller Handlungsnormen. 
Der Ansatz der Marx'schen Ethik basiert auf der Einsicht, dass das 
gesellschaftliche Bewusztsein und damit auch die gesellschaftliche 
Moral durch die Produktionsverhaeltnisse entscheident mitbestimmt sind. 
Wenn jetzt mein Marktwert als Star nach der Katastrophe um 6 auf 
10 Millionen Euro gestiegen ist, und ich ein Vorbild bin, dann spende 
ich den Ofern 1 Million. Ich meine, ich mache ScienceFiction, alles 
was ich sagen kann ist, holt euch einen guten Algorithmus, macht 
das Coding, schickt es durch den Assembler, debuggt das Ganze, und 
dann die Frage: OK? Wenn die antwort "Ja"  lautet, dann kommt was 
dabei heraus, wenn nicht: zurueck zum Anfang. Sie haben eine Sprache 
fuer mich entwickelt, die kollektiv ist und die von der Global 
Society verstanden wird. 

NONAME: Die Grundfunktionen von "The Koding" sind Rewriting, 
Interaktivitaet, Hyperconnectivity. Woher stammen die Ideen dafuer? 

Magenta: Die Programmierung ist eine Mischung aus X++ und Bun. X++ ist 
die Kontrolle, das Empire. Bun ist das Kontra, das Wilde. Diese beiden 
Sprachen zusammengebracht haben eine ungeheure Kraft. Oft lasse ich 
X++ die Strophe und reisze dann die Sache mit dem Bunrefrain nach oben. 
Das ist die Logik.

NONAME: Glauben Sie an den elektronischen Buergerkrieg, an die 
nanoistische Revolution? 

Magenta: Die Ereignisse im Sueden waren schneller und raffinierter als 
die Gesellschaften der Echtzeit-Medien. Die Raketen zeigten sich in 
der nicht-mediatisierten Oeffentlichkeit. Die Army gab dadurch die 
Medienmacht aus der Hand. Alles begann als die Raketen direkt in 
Erscheinung traten, und da war schon alles zu spaet. Sie hatten ihre 
Transparenz verloren, ehemals im Kopf-TV, sahen sie alle, aber es lag 
ausschliezlich in der Macht des Military Entertainment Complex, gesehen 
zu werden. Dieser Transparenz-Transfer funktionierte nun nicht mehr. 
Das wird durch die sogenannte Netzwerkgesellschaft als archaischem 
Paradigma eines technisch-medialen Apriori erst dann gebrochen, wenn es 
kein Re-Engeneering von Zellen mehr gibt und wenn sich die 
De-Kapitalisierung als Flow globalisiert hat, der Tobin Steuer-Fantasie, 
die sowieso nie kommen wird, und der Information zum Trotz. 

NONAME: Was ihrer Arbeit voellig fehlt ist Synthese, warum? 

Magenta: Weil Synthese nicht immer etwas bringt. Ich will schwarz 
gekleidete Maenner sehen, so kleine Reservoir Dogs-Bots mit 
Sonnenbrillen und AK 47 Pumpguns, die sich von Level zu Level 
hochschieszen und auch mal den Fernseher oder den Coca-Cola Automaten 
unpluggen. Der Pluralismus-als-Nation-Kitsch, den gottesglaeubige 
Saenger zur Zeit verbreiten, wird ja gerade zum Terror. Die Leute 
gehen da mit wie bei einer Greatest-Hits-Show. Was ich mir vorstelle, 
sind Touristen-Paerchen, wie sie durch die Stadt bummeln und von 
den Eingeborenen, dem Schrott, den Accesslosen Fotos machen, 
um sie dann ins Netz zu schicken, wie Guerilla-Marketing. Ueberall 
treffe ich Bios mit den alten Prozessoren, aber dem neuesten 
Nokia-Mobiltelefon. Den Wesen, die an ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-
Syndrom, Anm. d. Red.) leiden, fehlt die Faehigkeit, Sinnesreize zu 
filtern und zu ordnen. Sie sind unorganisiert, unkonzentriert, 
Hypeaktive, oder Traeumer. Und diese Wesen nutzen jetzt die Netze. Das 
interessiert mich. Anstatt sie Stalinistisch in die 1000 Jahre alte 
Denkweise der Zizekistischen "Wueste des Realen" zu fuehren, wuerde 
ihnen eine 3D E-Gitarre gut tun, oder ein Infrarotschlagzeug. Jeder 
sollte eines haben, die kosten nur zuviel, wer hat schon -,51 SPOL 
dafuer? 

NONAME: Woher diese Wut und die Energie. Sie sind dafuer bekannt die 
Bank 24-Rhetorik ernst zu nehmen, sie sind ein Relaxaholic, arbeiten 
nie. 

Magenta: Natuerlich gibt es da drauszen und in uns Liebe und Hoffnung. 
Aber es gibt auch das andere: Schmerz und Gewalt, und meine Band 
versucht genau das zu stoeren. 

NONAME: So gesehen waere das doch eine Revolution. 

Magenta: Ich moechte noch einmal auf das Modell des Programierbaren 
zurueckkommen. Stellen Sie sich folgende Kette vor: Sie sind ein 
Terrorist, der ein bestimmtes Ziel erreichen will. Bevor Sie dieses 
Ziel erreichen, muessen sie Zwischenziele, Etappen definieren und 
erreichen, um bestimmte Voraussetzungen zum Erreichen des eigentlichen 
Ziels herzustellen. Deshalb planen Sie einen Anschlag mit einer Bombe. 
Sie kommen aus ihrem Unterschlupf, Sie fahren zu Location. Auf dem Weg 
dorthin, stoszen Sie auf einen Wachposten. Sie koennen nun fliehen, 
abbrechen, oder eine Schiesserei anfangen, um das Hinderniss zu 
ueberwinden. Danach bzw. wahrend der Schiesserei ergeben sich mehrere 
Alternativen fuer den weiteren Prozess: Sie koennen dabei 
gefangengenommen werden, sie koennen im Schusswechsel sterben, sie 
koennen - weil sie den Wachposten erfolgreich ausgeschaltet haben - 
zum Zielort weiterfahren. Nehmen wir an, Sie fahren weiter. Die drei 
Alternativen sind jedoch nur aufgehoben! Sie koennen auch am Zielort 
noch gefangengenommen werden, oder sterben, oder Sie koennen die Bombe 
deponieren. Jedem Schritt kommt eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu, 
nach denen ihr Nutzwert bestimmt wird. Hier wird also eine 
Entscheidungs-Situation simuliert. Das was la Mettrie vorschlug, 
kommt hier durch: die materialistisch-psychotechnische, 
rationalistische Kognitionstheorie inklusive Kosten-Nutzen-Rechnung. 
Was da fehlt sind alle weichen, unberechenbaren Parameter der 
Emotionalitaet. 

NONAME: Sie wollten also nie ein Cyborg sein? 

Magenta: Natuerlich wollte ich das. Solche Traeume bringen einen 
erstmal dazu ein Tier oder einen Menschen anzufassen. Ich bin kein 
groszer Programmierer, kein groszer Denker, ich habe es mir 
nicht selbst beigebracht. Aber, es ist keine schlechte Art die 
Zeit zu verbringen. Irgendwann wird eine anderere meinen Job tun. 

NONAME: Mr. Magenta, wir danken Ihnen fuer dieses Gespraech. 

n0name Spezial #2/0006.00001beat 

(?) n0name 2002

Kommt bald!: n0name newsletter #43 

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