Tilman Baumgaertel on Thu, 27 Jun 2002 11:32:46 +0200 (CEST)


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[rohrpost] 2mal tsunamii.net


Hi!

Zwei Texte ueber tsunamii.net, die das einzige nennenswerte Internetprojekt
auf der documenta haben. Der eine steht heute in Telepolis, der andere in
diesen Tagen in der taz. 

Gruesse, 
T. 


-----------------SCHNAPP!-----------------------

Documenta Spot: tsunamii.net: "Alpha 3.4" 


Iiiih, Computer! 

Auf dem Boden in einer Ecke der Binding-Brauerei liegen vier Monitore in
einer Reihe hintereinander. Es gibt keine Tastatur, und auch auf Druck auf
den Bildschirm reagieren die vier LCD-Kisten nicht. Die Arbeit von der
Künstlergruppe tsunamii.net ist nicht zur Interaktion gedacht, sondern zur
Dokumentation. 

Aber zur Dokumentation von was? Die Monitore zeigen gelegentlich
wechselnden Zahlenreihen, eine Fehlermeldung, und zwei Landkarten von
Deutschland mit blinkenden Zeichen darauf. Die kryptische Installation
dürfte beim Kunstpublikum einschlägige Reaktionen auslösen ("Iiiih,
Computer!"). Und die meisten Besucher, die bei der Documenta 11 mit 118
Künstlern, einer fast verdoppelten Ausstellungsfläche, langen Wandtexten
und noch längeren Videofilmen sowieso schon völlig überfordert sind, dürfte
über die etwas im Weg liegenden Monitore mit dem angenehmen Gefühl
hinwegsteigen, diese unspektakulär und extra schwer konsumierbar wirkende
Arbeit getrost ignorieren zu können.

Dabei ist dieses Projekt bei weitem nicht so kompliziert wie viele andere
Werke auf der diesjährigen Documenta. Charles Lim und Tien Woon von der
Künstlergruppe tsunamii.net aus Singapur wandern ganz einfach zu Fuß von
Kassel, dem Austragungsort der Documenta, nach dort, wo der Server der
documenta steht: nämlich nach Kiel. Der Server -  das ist der ans Internet
angeschlossene Computer, auf dem die Website der documenta gespeichert ist,
und der gegenwärtig wahrscheinlich gerade unter den Zugriffen von Menschen
summt, die sich online über Öffnungszeiten, Katalogpreise oder
Übernachtungsmöglichkeiten während der Ausstellung informieren. 

Mit ihrer Aktion "Alpha 3.4" erinnern tsunamii.net daran, dass das Internet
keineswegs ein "raumloser Raum" im Cyber-Nirwana ist. Dass man hierzulande
vom eigenen PC auf die Website der documenta zugreifen kann, ist nicht
selbstverständlich, sondern ein Privileg der Ersten Welt. Möglich ist es
nur deswegen, weil in Deutschland Telekommunikations-Unternehmen viel Geld
investiert haben, um das ganze Land zu verkabeln und zu vernetzen. 

Indem tsunamii.net in dreißig Tagen die Wege abschreiten, die normalerweise
die Daten in Sekunden zurücklegen, zeigen sie, dass das immaterielle
Digitalreich Internet ohne Hardware-Infrastruktur gar nicht existieren
könnte. Fast wirkt es, als würden sie mit ihrem mühevollen Gang Abbitte
leisten dafür, wie einfach der Rest von uns Informationen über das Netz
abrufen kann. Wo Mr. Lim und Mr. Woon gerade wandeln, kann man auf den
Monitoren in der Binding Brauerei beobachten. Denn sie tragen ein mit
Global Positioning System ausgestattetes Mobiltelefon, dass ihren
Standpunkt über Satellit an den Rechner in Kassel weiterleitet. Die
kleinen, blinkenden Punkte auf seinem Monitor - das sind die Künstler. 

Leider ist "Alpha 3.4" die einzige Arbeit auf der Documenta, die sich mit
den technischen Bedingungen der weltweiten Vernetzung beschäftigt. Wie in
der freien Marktwirschaft hat auch die Kunst ihr Investment ins Internet
stark reduziert. Das viel annoncierte Thema der Ausstellung ist zwar die
"Globalisierung", doch auf der Basis von welcher Hardware sie verwirklicht
wird - danach fragt die Documenta nicht. Sie zeigt Symptome und Subjekte
der Globalisierung; zu den technischen Strukturen, die sie erst möglich
machen, dringt sie nicht vor. Als lesender Globalisierungskritiker fragt
man sich da: Hat die Globalisierung bei ihrem scheinbar unaufhaltsamen
Siegeszug nicht wenigstens einen Laptop und ein Modem dabei? Ist sie nicht
auf die Kabel der Deutschen Telekom oder ATT angewiesen, um den Planeten in
ihren Griff zu bekommen?

Bei der vergangenen documenta hat Catherine David eine kleine Auswahl von
Internet-Arbeiten gezeigt. Die waren zwar in einem kaum zu findenden Raum
hinter der Cafeteria versteckt, aber immerhin waren sie auf der Ausstellung
vertreten. Die documenta 11 interessiert sich hingegen überhaupt nicht für
Medien oder hat ein seltsam naives Verhältnis zu ihnen. Sie präsentiert
zwar viele Medienbilder und Videos, aber die Technik, mit der diese Bilder
entstanden sind, wird nicht reflektiert. Je unschärfer und wackeliger die
Aufnahmen,  je langsamer montiert sie sind, desto glaubwürdiger und
"authentischer" sollen sie uns erscheinen, und damit muss es ein Bewenden
haben. Was für Aussagen die Medientechnologie zulässt und welche sie
verhindert, wer überhaupt Medieninhalte produzieren darf und wer von der
medialen Kommunikation ausgeschlossen ist, fragt bei dieser Documenta
niemand. Da waren wir bei vergangenen Documentas schon einmal weiter.

Tilman Baumgärtel

Tsunamii.net im Internet unter: www.tsunamii.net


--------------------SCHNAPP!-------------------------


http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/12803/1.html

Laufen statt surfen

Tilman Baumgärtel  27.06.2002

Für ihr Documenta-Projekt müssen die Künstler von tsunamii.net weit laufen

Zwei Chinesen aus Singapur wandern in diesen Tagen von Kassel nach Kiel.
Das tun sie nicht aus Freude am Laufen, sondern als Teil ihres
Kunstprojekts  Alpha 3.4, das zur Zeit bei der Documenta in der Binding
Brauerei zu sehen ist. Tien Woon und Charles Lim von der Künstlergruppe
tsunamii.net marschieren vom physischen Ort der documenta zu der
Serverfarm, auf der die Website der Großausstellung liegt.

Im Gegensatz zur letzten Documenta, bei der Catherine David eine Auswahl
von Internet-Arbeiten in einem eigenen Raum
zeigt, ist bei der zwölften Documenta fast keine Netzkunst zu sehen. Wie
auf dem freien Markt wurden auch in der Kunstwelt die Investitionen in das
Internet stark zurückgefahren. Obwohl Globalisierung das Thema der
Ausstellung ist, finden sich in Kassel so gut wie keine Arbeiten, die sich
mit der technischen Infrastruktur auseinandersetzen, ohne die es keine
Globalisierung gäbe. 

Von der Künstlergruppe tsunamii.net stammt eins von drei Internetprojekten,
die bei der Documenta 12 zu sehen ist
(Tsumani nennt man übrigens Seebeben, die Flutwellen an der Küste auslösen
können). Die beiden Mitglieder von tsunamii.net wandern geduldig jeden Tag
acht Stunden in Richtung Serverfarm; Ende Juni wollen sie da sein. Tilman
Baumgärtel hat sie am Montagmorgen auf ihrem Mobil-Telefon angerufen, als
sie gerade aus ihrem Hotel auscheckten.

 Guten Morgen. Wo seid Ihr gerade? 

 
Tien Woon: Irgendwo hinter Hamburg, ich glaube, in Elmenhorst.

 Das heißt, dass Ihr zwei Drittel Eures Weges von Kassel nach Kiel für Euer
Documenta-Projekt hinter Euch gebracht habt. Worum geht es bei diesem
Projekt genau? 

 
Tien Woon: Wir surfen durch das Internet, indem wir uns physisch von
Kassel, wo die Documenta stattfindet, nach Kiel, wo der Server der
Documenta steht, bewegen. Ein Server ist der Computer auf dem alle Daten
der Website liegen, auf die man über das Internet zu greifen kann. Wir
haben in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Programmierern ein Programm
geschrieben, das "Webwalker" heißt und mit dem man durchs Internet surft,
während man geht. Wir tragen einen mobilen Server, Palmtops und ein GPS
System, damit sind wir die ganze Zeit online. Während wir laufen, schickt
das GPS-System die Information darüber, wo wir gerade sind, ins Internet.
Diese Bewegungen kontrollieren vier Monitore in der Binding Brauerei in
Kassel, wo man unseren Aufenthaltsort sehen kann.

 Warum wollt Ihr diese Strecke überhaupt ablaufen? Der Vorteil des
Internets ist doch gerade, dass man sich nicht mehr physisch dahin bewegen
muss, wo die Daten sind, die man haben will... 

 
Tien Woon: Wir wollen das Internet als einen physischen Ort zeigen. Es geht
uns nicht darum, dass Virtuelle physisch zu machen, sondern eher darum,
klar zu machen, dass das Virtuelle eine physische Basis hat. Über das
Internet wurde immer gesagt, dass man die Freiheit hat, sich zu bewegen,
wohin man will, weil es keine Grenzen hat, dass es ortlos ist und dass es
eine Art Staatszugehörigkeit im Internet gibt, die des "Netizen". Angeblich
kann man sich frei bewegen und Daten sammeln. Aber in Wirklichkeit hängt
all das von Hardware ab, von Kabeln und Backbones. In manchen Ländern gibt
es die, in anderen nicht. Zur Zeit sind zum Beispiel viele Server in den
USA, weil es da viel billiger ist. In Deutschland kann das 100 Euro kosten,
eine Website zu hosten, in den USA nur 30 Dollar.

 Das klingt ein bisschen nach einer Renationalisierung des Internets. Ist
es nicht gerade ein Vorteil des Netzes, dass man seine Daten da lagern
kann, wo man will - auch weit weg von der eigenen Regierung, die kritische
Inhalte löschen oder einen deswegen vor Gericht stellen kann? 

 
Tien Woon: Einer meiner Freunde hat seine Website in den Niederlanden, weil
es da billiger ist und weil er dachte, dass Holland ein liberales Land ist.
Aber was macht er, wenn da die Regierung wechselt und eine rechte Partei
gewählt wird, wie es jetzt gerade geschehen ist? Es geht uns nicht um eine
Renationalisierung des Internet, sondern darum, darauf aufmerksam zu
machen, dass das Netz ein politisierter Raum ist. Es ist nicht mehr so
offen und so frei wie zu der Zeit, als das Internet entstand.

Wart mal, mein Kollege will etwas sagen. (Gemurmel im Hintergrund.) Charles
sagt, dass die Documenta-Plattformen ein gutes Beispiel dafür sind.
Augenblick, ich gebe ihm mal das Telefon...

 
Charles Woon: Hallo, hier ist Charles...

 Hallo, ich bin Tilman. 

 
Charles Woon: Ich finde, dass die Documenta-Plattformen zeigen, was das
Problem ist. Die Konferenzen, die der Documenta vorausgingen, fanden alle
weit weg von Kassel statt, aber nun ist das ganze Material auf einem Server
in Frankfurt abgelegt...

 Ja, und jeder kann darauf zugreifen, weil das Internet ein
dezentralisiertes Netzwerk ist. Sogar die Leute in Santa Lucia... 

 
Charles Woon: Aber wenn man einen Server in Frankfurt benutzt, heißt das,
dass die Daten in anderen Teilen der Welt langsamer ankommt. Und die Leute
in Santa Lucia können die Video-Streams vielleicht gar nicht herunterladen.
Man hätte wenigstens eine Mirror-Site dort oder in anderen Teilen der Welt
aufstellen können, um das Material von diesem Server außerhalb von Europa
leichter zugänglich zu machen.

Die Position des Servers betrifft übrigens auch uns. Als wir das Projekt
geplant haben, war der Server der Documenta noch in Frankfurt, weil es von
einer dortigen Firma gesponsert wurde. Jetzt haben sie den Server in eine
Serverfarm in Kiel verlegt, weil die Telekom der Sponsor ist. Als wir das
gehört haben, haben wir gesagt: "Verdammt, jetzt müssen wir viel weiter
laufen." (lacht)

 Zu dem Server zu laufen wirkt fast wie ein Akt der Sühne dafür, dass man
heute über das Netz so leicht an Daten kommt...

 
Charles Woon: Naja, normalerweise soll es ja so sein, dass man selbst ein
bisschen Arbeit hat, und dass dann der Computer den größten Teil der Arbeit
für einen erledigt. Bei uns ist es genau anders herum: wir tun den größten
Teil der Arbeit, und dann muss der Computer nur noch ein bisschen tun. Wir
wollen die Technologie langsamer machen. Die Technik, und besonders
Computer, werden immer schneller und schneller, und beschleunigt damit auch
unser Leben. Wir wollen diese Prozess umkehren und langsamer und langsamer
werden. Wenn wir von Kassel nach Kiel laufen, ist das auch ein Akt der
Kontemplation.

 Wandert Ihr gerne? Seid Ihr Naturfreunde, die sich darüber freuen, in
Deutschland herumzuziehen zu können? 

 
Charles Woon: Hm, eigentlich sehen wir gar nicht viel Natur. Wir sehen vor
allem Verkehr. Wir müssen die Strassen benutzen, damit man uns in der
Ausstellung sehen kann, denn unsere Bewegungen kontrollieren die Computer
in der Binding Brauerei. Ich habe auch erwartet, dass wir unterwegs viele
Leute kennen lernen, aber tatsächlich sehen wir auf der Strasse fast keine
Menschen, sondern nur Autos. Es wirkt fast, als seien nur noch kleine
Inseln übrig geblieben, wo Leute laufen können, und der Rest ist für Autos,
Lastwagen und Züge.

 Mir ist aufgefallen, dass man Euch auf dem Fotos von Euren früheren
Projekten fast immer auf Bahnhöfen oder Zuggleisen sieht. Warum? Weil unter
den Schienen viele Telekom-Kabel verlegt sind? 

 
Charles Woon: Ja, und weil wir uns für verschiedene
Telekommunikationstechnologien interessieren. Zuerst gab es Strassen und
Telegrafen, dann Zuggleise und das Telefon, und jetzt gibt es das Netz.
Zuggleise, Strassen, Bürgersteige sind vorbereitete Spuren, Strukturen, die
den menschlichen Verkehr von einem Ort zum anderen leiten sollen. Und
Bahnhöfe sind wie die Nodes in diesen Netzen. Wenn man geht, fühlt man die
verschiedenen "Texturen" der Geschwindigkeit. Laufen, Fahren, Radfahren,
Zugfahren, das sind alles auch verschiedene Geschwindigkeiten. Für uns ist
das Laufen die Geschwindigkeit, die uns erlaubt, mehr von dem zu sehen, was
zwischen dem Beginn und dem Ende der Reise ist. Wir erforschen, was beim
Internet dazwischen ist.

 Und was werdet Ihr machen, wenn ihr in Kiel bei der Firma angekommen seid,
die die Documenta-Website hostet? 

 
Charles Woon: Wir mussten lange verhandeln, um in die Serverfarm selbst
hineinzukommen, aber schließlich haben wir die Genehmigung bekommen. Wir
werden vor dem Servercomputer eine Webcam aufstellen, und das Bild, das die
aufnimmt, wird in die Installation in Kassel übertragen. Man wird das Bild
auch auf der Website der Documenta bis zum Ende der Ausstellung sehen,
vielleicht sogar länger.

Wir wollen so über unser Verhältnis zum Computer nachdenken. Ich habe
gesagt, dass unsere Wanderung von Kiel nach Kassel auch ein Akt der
Kontemplation ist. Aber das klingt vielleicht zu sehr nach Robert Long. Das
Wichtigste an diesem Happening ist nicht unser Gang als solcher, sondern
der Versuch, unsere Beziehung zum Computer zu klären. (Krach im Hintergrund.)

 Sagt mal, seid Ihr schon wieder auf der Strasse? Ich glaube, ich höre
Autos im Hintergrund... 

 
Charles Woon: Nein, aber wir gehen jetzt gleich los. Wenn Du willst, kannst
Du ja im Internet nachsehen, wo wir jetzt sind. Und dann kannst Du dahin
fahren, um uns zu treffen. (lacht)


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