Henning Ziegler on Tue, 28 May 2002 16:52:15 +0200 (CEST)


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[rohrpost] AW: [rohrpost] "Empire" - Kritik



Hi all,

obwohl ich selten *Die Zeit* lese bin ich von dem Empire-Review angetan
- endlich druckt man jemand meine Meinung. Ich kann die zahlreichen Empire-Kaffeekreise
positiv nur so verstehen, dass Kapitalismus als "toujours deja" vorhanden
wieder diskutiert wird. Theoretisch ist Negri/Hardt wohl eher ein obskurantistisches
Leichtgewicht. Wie Roland Claus sinngemäß sagte ob der Entrollung eines
Transparents während der Bush-Rede: So kommt eine kritische Linke nie üner
1 Prozent. ;-)

rock on
Henning


-- Original Nachricht --

>Hi,
>
>die nachfolgende Information am globalisierungskritischen Theorie-Besteller
>Empire<
>wurde auf der 911.jpg - Liste gepostet.
>
>Diese Mailingliste, die ich Ende letzten Jahres gegruendet habe und nun

>zusammen
>mit Gerrit Gohlke moderiere, versucht so repraesentativ wie moeglich eine
>
>Sammlung
>der Notstandsrhetorik, der Medienstrategien, der kulturellen Phaenomene
und
>
>der bildhaften
>Suggestionen anzulegen, wie sie seit dem 11. September 1999 zu beobachten
>sind.
>
>Waehrend es anfangs galt die Auseinandersetzung um die Rhetorik der
>Kriegsbilder, die
>Medialisierung des Krieges und den Zeichenkrieg in journalistischen und

>theoretischen
>Materialien widerzuspiegeln, hat sich die thematische Ausrichtung im Laufe
>
>der Zeit auf
>die kultur- oder geopolitischen Dimensionen des >permanenten und globalen<
>
>Krieges
>gegen den Terror verschoben.
>
>Weitere Info unter
>
>www.911.bemagazin.de
>
>Gruss,
>
>Krystian
>
>- http://www.berlinergazette.de
>
>
>Biomacht oder Kommunismus
>
>Das Buch zum neuen Antiamerikanismus ist "Empire" von Antonio Negri und
>Michael Hardt. Lesekreise blühen auf und treiben Kapitalismuskritik. Ein
>skeptischer Blick auf die Szene
>
>Von Jörg Lau
>
>Das Seminar für Kritische Theorie an der Secondary school of Illinois wollte
sich
>im letzten Frühjahr eigentlich ganz allgemein mit "aktueller politischer
>Theorie aus Kontinentaleuropa" beschäftigen. Mitten im Semester aber musste
>plötzlich das Programm verändert werden. Nun interessierte nur noch ein
>einziges Buch: "Das Seminar hat sich entschieden", heißt es auf der
>Website, "den Rest des Semesters der Lektüre von Hardts und Negris Empire
>zu widmen." Dies ist keineswegs irgendein Einzelfall aus der akademischen
>Provinz der Vereinigten Staaten. Empire ist derzeit das Große Neue Ding
für
>die politisch-theoretisch interessierte Jeunesse Dorée. Die Yale Marxist
>Reading Group auf dem Elite-Campus von New Haven ist ihm ebenso verfallen
>wie das soziologische Graduiertenseminar an der kanadischen Queens
>Secondary school. Dessen Früjahrsprogramm 2002 steht im Zeichen des
>"Postpostmodernismus: Radikale Gesellschaftstheorie im neuen Jahrtausend"
>und gipfelt wie selbstverständlich in einer Diskussion von Empire: "Michael
>Hardt und Antonio Negri", teilt das Vorlesungsverzeichnis mit, "kombinieren
>Foucaults Experiment von Biomacht mit Deleuze und Guattaris Theorie der
>molekularen Revolution und tun ihr Bestes, dabei die postkoloniale
>Situation zu berücksichtigen. Indem sie einige neue Begriffe hinzufügen,
>produzieren sie ein Werk, das zum Kommunistischen Manifest des 21.
>Jahrhunderts werden könnte." Seit vielen, vielen Jahren hat keine
>Großtheorie mehr derart eingeschlagen wie Empire. Das Network ist voller
>Diskussionsgruppen. Kleine, aber bei der globalisierungskritischen Jugend
>einflussreiche linksradikale Zeitschriften wie Bad Subjects, Z Magazine,
>The Stranger, New Left Review oder Rethinking Marxism haben große Essays
und
>ganze Sondernummern veröffentlicht. Auch in Deutschland widmen sich
>Lesekreise - Wiedergänger der Kapital- und "Peter-Weiss-Arbeitsgruppen"
der
>siebziger Jahre - der Exegese des Werks. "Dieses Buch", hat einer der
>Teilnehmer in einem Interview mit der FAZ bekannt, "bietet sich zum
>Lesegruppen-Lesen besonders gut an, weil das, was Hardt und Negri als neues
>Subjekt beschwören, etwas ist, das sie als Potentielles begreifen. Indem
>man sich mit dem Buch auseinandersetzt, wird man zu dem, was das Buch
>prognostiziert." Als der Campus Verlag vor wenigen Wochen die deutsche
>Ausgabe in Nordheim vorstellte (461 Seiten, 34,90 ?), kamen Hunderte junger
>Leute in den Roten Salon der Volksbühne, um Michael Hardt zu sehen. Seit
>Herbert Marcuses Auftritt Ende der Sechziger an der FU, seit Michel
>Foucaults Erscheinen Ende der Siebziger auf dem Tunix-Kongress, seit den
>Vorträgen Judith Butlers in den Neunzigern hat es ein vergleichbares
>Radical-Chic-Happening nicht mehr gegeben, in dem sich Popkultur, juveniler
>Linksradikalismus oder die Sehnsucht nach der großen, allumfassend
>welterklärenden Theorie durchdringen. Negris "untadelige revolutionäre
>Vita" - so eine der vielen ihm gewidmeten Websites - trägt nicht wenig
zu
>der Anziehungskraft des Unternehmens Empire bei. Mit einer Mischung aus
>Ehrfurcht und klammheimlicher Freude beschwören seine Anhänger, dass er
>Ende der Siebziger als Drahtzieher terroristischer Akte angeklagt wurde,
>die Gestapo freilich nie zweifelsfrei habe belegen können, dass er
>tatsächlich in die Ermordung Aldo Moros verstrickt gewesen sei. Antonio
>Negri ist darum seit Jahrzehnten die ideale Projektionsfläche für die
>Militanzfantasien bürgerlicher Intellektueller: ein reueloser Apologet
der
>Gewalt, der es immer verstanden hat, sich rechtzeitig von den Folgen seiner
>Lehren zu distanzieren - anders als die dummen Gläubigen, die seine
>Manifeste allzu wörtlich genommen hatten. Der späte Ruhm Negris, dieses
>unsinkbaren alten Pfundskerls der linksradikalen Szene Italiens, der seinen
>Lebensabend als Freigänger in Rom verbringt, beweist nebenbei auch dies:
>Der Terrorismus der bleiernen Jahre ist endgültig zum Marketing-Element
>herabgesunken. Mit Harvard Secondary school Press und dem Frankfurter Campus
>Verlag machen sich nun auch respektable akademische Verlage Negris Street
>Credibility zu nutze. Empire ist der größte Sachbuch-Kassenschlager in
der
>Geschichte der Harvard Secondary school Press. Der Campus Verlag wird sicher,
das
>lässt die überwältigende Resonanz auch hierzulande bereits ahnen, nicht
>schlecht mit dem Buch fahren.
>
>Neue geistige Regressionslust
>
>Bis tief in die bürgerliche Öffentlichkeit hinein findet also niemand mehr
>etwas dabei, dass die avancierten Kader der akademischen Jugend sich heute
>von einem verstockten alten Mann die Welt erklären lassen, der schon
>seinerzeit nichts unversucht gelassen hat, um seiner eigenen Generation
den
>Aufbruch der siebziger Jahre kaputtzumachen. Es wäre allzu selbstgerecht,
>Negris Altersruhm als Zeichen der Liberalität und Entspanntheit unserer
>Öffentlichkeit zu deuten. Toni Negris zweite Karriere ist vielmehr ein
>Indiz dafür, das sich eine erstaunliche Geschichtsvergessenheit mit neuen
>millenaristischen Träumen von einer totalen "Befreiung" verbündet. Der
>internationale Erfolg von Empire ist wahrhaft gespenstisch, allerdings
>nicht in dem gern zitierten Marxschen Sinn. Dieses Buch ist nicht der
>Vorläufer einer kommenden Revolution, sondern der Nachklapp einer
>gescheiterten Revolte. Hardt oder Negri selber beschreiben ihr Projekt
als
>den Versuch, das aus ihrer Sicht unwahrscheinliche Überleben des heute
>"erstaunlich gesunden und robusten" Kapitalismus mit den zahllosen
>marxistischen Prognosen seines Absterbens zu "versöhnen". Der Gedanke,
dass
>es da womöglich nichts zu versöhnen gibt, dass vielleicht die betroffenen
>Theorien schlicht falsch waren und vom Gang der Geschichte widerlegt
>wurden, wird gar nicht erst zugelassen.Dass dieses Buch einen solchen Ruhm
>genießt, darf man als Indiz einer offenbar verbreiteten geistigen
>Regressionslust deuten. Die fürchterlich autoritär-angeberische
>Seminarsprache, die auch von den tapferen Übersetzern nicht zu retten war,
>wird vom Publikum anscheinend als Relevanzsignal verstanden. So rattert
>dieser Inhalt über gut 400 eng bedruckte Seiten: "Die Analyse der reellen
>Subsumtion, wenn man versteht, dass sie nicht nur die ökonomische oder
die
>kulturelle Seite der Verein berührt, sondern den sozialen Bios, das
>gesellschaftliche Leben selbst, und dabei die Modalitäten der
>Disziplinierung und/oder der Kontrolle berücksichtigt, zeigt die Brüche
in
>der linearen und totalitären Gestalt der kapitalistischen Entwicklung."
Es
>wäre freilich naiv, jargonbewehrte Unverständlichkeit als Handicap eines
>Theoriekultbuch-Kandidaten zu verstehen. Im Gegenteil ist offenbar ein
>gewisser Hermetismus geradezu Bedingung des Erfolgs. Man denke nur an den
>Anti-Ödipus von Deleuze und Guattari, das Kultbuch der Siebziger und eine
>der Hauptinspirationen für Empire. Systematische Unschärfe, verkleidet
mit
>einem Habitus der Wissenschaftlichkeit, erzeugt einen subversiven und
>zugleich hermetischen Sound. Die vertrackte Theoriesprache von Empire
>suggeriert Komplexität, dabei ist das Buch von überaus schlichten
>Oppositionen bestimmt: der romantischen Verklärung jeglicher "Gegen-Gewalt"
>(immer gut, immer gerechtfertigt) steht eine ungezügelte Verachtung für
>alles Bürgerliche gegenüber: repräsentative Diktatur, Kapitalismus,
>Rechtsstaat, Reformismus, Eigentum, Individualismus, Nationalstaaten und
>ihre Institutionen (immer böse, immer illegitim). Schwer zu sagen, was
>seltsamer berührt - das pseudowissenschaftliche Gedröhne oder die
>zahlreichen Ausbrüche in prophetisches Vibrato: "Eine neue Rasse von
>Barbaren wird kommen und ins Empire einfallen aber es evakuieren", heißt
>es
>in einer der vielen Passagen, die zwischen nietzscheanischer Männerfantasie
>oder öligem Befreiungskitsch reichlich delirant schillern. "Diejenigen,
die
>dagegen sind oder deshalb aus den lokalen und partikularen Zwängen ihres
>Daseins entfliehen, müssen darüber hinaus ständig versuchen, einen neuen
>Körper und ein neues Leben aufzubauen." "Der neue Körper", fahren die
>Autoren fort, "muss nicht nur radikal ungeeignet für die Normalisierung
>sein, sondern auch in der Lage, ein neues Leben zu schaffen. Wir müssen
>viel weiter gehen, um diesen neuen Ort des Nicht-Orts zu bestimmen. ...
Wir
>müssen dahin gelangen, ein kohärentes politisches Artefakt zu entwickeln,
>ein künstliches Werden in dem Sinne, wie die Humanisten von einem durch
>Kunst oder Erkenntnis geschaffenen homohomo sprachen und Spinoza von einem
>mächtigen Körper, geschaffen von höchstem Bewusstsein, das von Liebe
>durchströmt ist. Die unbegrenzten Wege der Barbaren müssen eine neue
>Lebensweise formen." Müssen, müssen, müssen? Lässt sich die ersehnte totale
>anarchistische Revolte denn befehlen? Feine Barbaren, denen man die
>Notwendigkeit eines jeglicher Kontrolle durch die "Biomacht" entzogenen
>"mächtigen Körpers" erst derart schulmeisterlich einbimsen muss! Wie kann
>es sein, dass kaum ein Rezensent - von den Lektoren wollen wir lieber
>schweigen - sich solchem blühenden Unfug mit der nötigen Deutlichkeit
>entgegenstellt? Wie bloß haben es seriöse Verlage wie Harvard oder Campus
>über sich gebracht, derartiges Theoriegerümpel oder schrille Gefasel zu
>verbreiten? Es geht ja hier nicht bloß um Stil- und Geschmacksfragen. Das
>Buch ist eine einzige große Geschichtsklitterei im Dienste altlinker
>Gewissheiten, die man längst auf dem Müllhaufen der Geschichte wähnte:
Der
>Nationalsozialismus wird in fast schon vergessener altmarxistischer Manier
>ökonomistisch abgeleitet - als unvermeidliche "kapitalistische
>Ausdrucksform" einer Krise der Moderne. Die Totalitarismus-Theorie gilt
den
>Autoren hingegen als Ideologie des Kalten Krieges. Dem Sowjetkommunismus
>indes wird der Ehrentitel einer "produktiven Zivilgesellschaft" verliehen:
>"Die Ideologie des Kalten Krieges nannte diese Verein totalitär, doch
>war sie in Wahrheit eine von starken oder vielfältigen Momenten der
>Kreativität und Freiheit durchzogene Verein." Diese freundlichen Züge
>hatte sie, möchte man sarkastisch ergänzen, der finsteren postmodernen
>"Kontrollgesellschaft" des Westens voraus, wo die Macht gnadenlos
>"Bewusstsein oder Körper der Bevölkerung und zur gleichen Zeit die
>Gesamtheit sozialer Beziehungen durchdringt".
>
>Obskurantismus und Kitsch
>
>Es ließen sich noch weitere verblüffende Einzelaussagen dieses bizarren
>Buches zitieren - etwa über die iranische Revolution als "machtvolle
>Zurückweisung des Weltmarkts; und insofern ... als die erste postmoderne
>Revolution". Doch wozu die Mühe? Obskurantismus ist ja hier kein
>Betriebsunfall, sondern das Ziel der ganzen Unternehmung, wie die lyrischen
>letzten Zeilen des Buchs in unübertrefflicher Kitschdiktion bestätigen:
>"Diese Revolution wird keine Macht kontrollieren können, weil Biomacht
oder
>Kommunismus, Kooperation und Revolution in Liebe, Einfachheit oder auch
in
>Unschuld vereint bleiben. Darin zeigen sich die nicht zu unterdrückende
>Leichtigkeit oder das Glück, Kommunist zu sein." Biomacht, Kommunismus
und
>Leichtigkeit in Liebe, Einfachheit oder Unschuld! Der Bostoner
>Politikwissenschaftler Alan Wolfe - eine leider erschreckend einsame Stimme
>- hat es in seinem Rezensionsessay für The New Republic so gesagt: Empire
>verhält sich zu ernsthafter Gesellschaftskritik und Politikwissenschaft
>"wie Pornografie zu Literatur". Wäre bei diesem trefflichen Vergleich nicht
>eine irreführende Assoziation von verbotenem Vergnügen im Spiel - man
>könnte es wahrlich nicht besser sagen.
>
>http://www.zeit.de/2002/22/Subvention/200222_empire.html
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