lerone on 12 Sep 2001 15:30:35 -0000


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Das terroristische Wettrüsten

Florian Rötzer   12.09.2001 

Der Aufmerksamkeitsterror und die erhabenen 
Spektakel 

Die terroristischen Anschläge auf die USA zeigen 
neben der Entschlossenheit der Täter, ihr Leben 
und das möglichst vieler anderer Menschen, die 
zufällig am Ort sind, zu opfern, dass trotz aller 
militärischer Aufrüstung und technischer Systeme 
nirgendwo auf der Welt mehr Sicherheit garantiert 
werden kann. Gerade die neue amerikanische 
Regierung, die die Aufrüstungsspirale etwa mit 
dem Aufbau des Raketenabwehrsystems zum 
Schutz vor Angriffen auf das Land vorantreiben 
wollte, muss jetzt sehen, dass selbst eine 
technisch hochgerüstete Supermacht den 
Angriffen einer vermutlich kleinen Zahl von 
Terroristen wehrlos ausgesetzt ist, die zudem in 
einem furchtbaren und brachialen Showdown 
bislang unerreichter Dimension mit dem World 
Trade Center und dem Pentagon nationale 
Symbole der wirtschaftlichen und militärischen 
Macht zerstören konnten. 

Im Grunde hat sich mit den offenbar gut 
koordinierten Anschlägen die schon seit Jahren 
befürchtete Eskalation des Terrors bestätigt. In 
der nach dem Ende des Kalten Krieges und dem 
Zusammenbruch der Sowjetunion als 
uneingeschränkte Supermacht agierenden USA 
wurde schon bald befürchtet, dass gerade wegen 
der militärischen Überlegenheit vermehrt 
"asymmetrische" Angriffe zu befürchten seien. 
Unter Präsident Clinton wurde der Schutz der 
nationalen Infrastruktur zu einem vorrangigen 
Thema der nationalen Sicherheit und damit auch 
der Orientierung von Militär und Geheimdiensten. 
Allerdings glaubte man vielfach, dass in Zukunft 
Gefahren von Angriffen mit den neuen 
Massenvernichtungswaffen aus der Biologie oder 
mit digitalen Mitteln ausgeführt oder zumindest 
die informationstechnische Infrastruktur treffen 
werden. 

Präsident Bush jedoch setzte wieder eher auf 
konventionelle Aufrüstung als Schutz vor Angriffen 
durch Langstreckenraketen und forcierte 
Szenarien, die Amerikas Schutz im Weltraum 
anstrebten (  Pearl Harbor im Weltraum). Dass 
nicht Raketen, biologische Agenten oder 
Computerbomben, sondern zivile 
Passagierflugzeuge, die im Inland entführt 
wurden, als Angriffswaffen der 
Selbstmordattentäter eingesetzt wurden, zeigt 
zwar, dass auch die modernen Nihilisten mit der 
Technik mitgehen, aber zu Mitteln greifen, mit 
denen schon Generationen von Terroristen 
vertraut waren und die primär keine 
Zerstörungswaffen sind (  Warum auch militärisch 
die teure Großtechnologie ein Auslaufmodell sein 
könnte). 

Die Anschläge zeigen aber auch, dass sich der 
Terrorismus, entstanden im Zeitalter des 
Dynamits und der Zeitungen, in einer 
entsetzlichen Spirale der Überbietung immer 
weiter hoch schaukelt. Während immer neue 
Techniken der Beschleunigung entstanden, die 
den Menschen neue und schnellere Reaktionen 
abverlangten, trat zusammen mit der Werbung 
und Propaganda, also der einzig auf die 
Erweckung von Aufmerksamkeit zugeschnittenen 
ästhetischen Information, im 19 Jahrhundert auch 
eine politische Aktionsform auf die Bühne, in der 
bereits die Ästhetik des Schocks kulminierte: der 
Terrorismus. Sein Konzept begründet sich 
bekanntlich auf der "Propaganda der Tat", die sich 
an den Gesetzen der kollektiven 
Aufmerksamkeitsorgane der freien Medien 
orientierte, die wiederum im umkämpften Markt 
der Aufmerksamkeit stets nach Sensationen 
suchen müssen, um Interesse zu wecken. Die 
Mitte des Jahrhunderts mit den Großstädten 
entstandene Massenpresse konnte schnell an 
Hunderttausende von Lesern eine Nachricht 
vermitteln. Rundfunk, Fernsehen und heute das 
Internet haben diesen Prozess lediglich noch 
einmal beschleunigt und den Konkurrenzdruck 
stetig vergrößert, Informationen als 
Aufmerksamkeitswaren zu "verpacken", wofür 
selbstverständlich schockierende Inhalte am 
günstigsten sind. Aus dieser Perspektive bilden 
Massenmedien als kollektive, aber um die 
Aufmerksamkeit der einzelnen konkurrierende 
Aufmerksamkeitssysteme mit den Terroristen - 
auch im übertragenen Sinn -, die in der 
Konkurrenz mit allen anderen Informationen eine 
herausragende Nachricht inszenieren, ein 
verschweißtes und sich aufschaukelndes 
Gespann. 

Für diesen Aufmerksamkeitsterror ist weniger 
wichtig, wie "fortgeschritten" die Mittel des 
Anschlags sind, sondern primär, wie viel 
Schaden angerichtet werden kann, d.h. 
vornehmlich, wie viele Menschen, die zufällig am 
Ort des Anschlags anwesend sind, getötet oder 
verletzt werden können. Zentral sind aber auch 
die Bilder des Schreckens, die dadurch 
entstehen. "Gelungener" Terrorismus gipfelt in 
Bildern des blutigen und zerstörerischen 
Spektakels, das vom Zufall der Opfer Zeugnis 
ablegt, aber auch die Ästhetik der Destruktion 
zelebriert. Das Flugzeug, das in den Turm des 
World Trade Center einschießt und explodiert, ist 
sicherlich, so zynisch das ist, eine der bislang 
beeindruckendsten Bildsequenzen geworden, 
das sich in der Fantasie der Menschen (und der 
künftigen Attentäter) festsetzen wird. Aufgrund 
ihrer ästhetischen Eigenschaften der 
schrecklichen Erhabenheit wurden sie denn auch 
pausenlos auf allen Sendern gezeigt (was 
nebenbei auch demonstriert, dass das 
Fernsehen hier dem Internet noch immer weit 
überlegen ist, weil es den ungestörten Empfang 
eben dieser permanent wiederholten Bilder bis 
hin zur mentalen Betäubung erlaubte). 

Die Dynamik des Aufschaukelns, die vornehmlich 
auf die Erzielung von Aufmerksamkeit zielt, wird 
weiterhin die terroristischen Strategien 
beherrschen und vorantreiben, solange 
Menschen verzweifelt und verblendet genug sind, 
mit Kamikazeangriffen um den Preis des eigenen 
Lebens ein blutiges Fanal setzen zu wollen, das 
die schnelle Aktion über die Geduld und 
Kompromisse verlangenden politischen Arbeit 
setzt und wohl auch eine persönliche Macht 
beweisen soll, die keine Lösungen, aber 
immerhin Spektakel realisiert und Prominenz 
erzeugt. 

Die Anschläge haben auch demonstriert, dass 
der Terrorismus wie alles andere global 
geworden ist und sich ebensowenig wie die 
hinter ihm stehenden Probleme an Grenzen 
stoppen lässt. Sicherheitsstrategisch haben 
amerikanische Militärs bereits vom Panikkrieg als 
neuer Dimension gesprochen und darauf 
aufmerksam gemacht, dass die herkömmlichen 
Unterscheidungen von Innen- und Außenpolitik, 
militärischen und zivilen Bereichen einbrechen (  
Panikkrieg). Das kann zu einer Militarisierung der 
Gesellschaft und vermehrt zu militärischen 
Eingriffen im Ausland führen, könnte aber auch 
bedeuten, dass die Zeit des Militärs abläuft, 
während die Überwachung ausgebaut wird, weil 
jeder potentiell zu einem Attentäter wird, der 
Furchtbares anrichten könnte. Das terroristische 
Wettrüsten vollzieht sich nicht mehr zwischen zwei 
oder mehr Gegnern, sondern hat eine 
Eigendynamik der Überbietung entfaltet, die sich 
nur noch in der medialen Aufmerksamkeit 
spiegelt. Die aber ist verwurzelt im faszinierten 
Schrecken, einer fatalen Ambivalenz. 


		
	"Wir sind alle der gleichen Einschätzung und alle 
der gleichen Meinung, dass es jetzt darum geht, 
gegen diesen Angriff auf die zivilisierte Welt 
Solidarität mit den Vereinigten Staaten zu üben." 
(Bundeskanzler Schröder) 	
		


Wie immer die USA und mit ihr die anderen 
Länder auf diese Anschläge außen- und 
innenpolitisch, militärisch und 
sicherheitsstrategisch reagieren werden, so 
werden es die wenigen Terroristen erst einmal 
geschafft haben, dass sich durch diesen "Angriff 
auf die zivilisierte Welt" (Bundeskanzler Schröder) 
viele kritiklos hinter die Politik der USA stellen 
werden (  Aufkündigung der Zivilisation). Das aber 
könnte in der Tat die von vielen beschworene 
Veränderung der Welt bewirken. Die Reaktion des 
CEO von  CoffeeCup Software ist dafür 
möglicherweise symptomatisch: 


		
	"We feel very strongly about this. We think that 
whoever is found responsible for this should pay 
the ultimate price. If any country is found 
responsible, that country should be destroyed. If it 
is a terrorist organization, it should be destroyed."

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