Peter C. Krell on 17 Apr 2001 15:02:45 -0000


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[rohrpost] we are the "eu" in "dot.eu"


"Internet Governance" – Lessons learnt... zu Gast bei der Friedrich Ebert Stiftung... 

Am Freitag, dem 6.April.2001, trafen auf besondere Einladung der Bertelsmann Stiftung und der Friedrich Ebert Stiftung im neuen Gebäude der Friedrich Ebert Stiftung (FES, Hirmoschmastr. 17) nahe der japanischen Botschaft hochkarätige, internationale MedienpoltikerInnen und RepräsentantInnen von Regulierungsbehörden mit VertreterInnen von internetaffinen Interessengruppen zusammen, um über das Thema "Internet Governance. Wer regiert das Internet?" miteinander zu diskutieren. 
Unter den geladenen Gästen befand sich unter anderem auch die Bundesministerin für Justiz Frau Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin von der SPD. In ihrer offiziellen Eröffnungsrede zur Veranstaltung streifte sie so ziemlich alle der derzeit in der politischen IT-Szene kursierenden Mainstream-Themen. Damit bewies sie, wenn auch man in einzelnen Punkten abweichender Meinung war, zumindest Einblicke in die vielen Politikern noch relativ unvertraute Materie. Neben Fragen des allgemeinen Code of Conducts im Netz und Fragen zur Klärung des Zuständigkeitsbereichs von international operierenden Gremien wie der ICANN machte sie der Forderung nach der Einführung einer "dot.eu"  Domain Luft, an die sich allgemeinere Fragen nach der Realisierung von Jugendschutz im Internet anschlossen. In dem Zusammenhang wandte sich im Fortlauf ihrer Darstellungen das Hauptinteresse vorwiegend dem Schutz von geistigen Eigentum im Netz zu.
Die damit inhaltlich angerissenen Sachverhalte wurden im weiteren Verlauf der Veranstaltung von den geladenen einzelnen Experten aus ihrem jeweiligen Spezialwissensgebiet heraus vertieft für die Anwesenden dadurch transparenter gemacht. Einige strittige Fragen rückten in ihrer mehrdimensionalen Ausdehnung in Bezug auf ein globales, technisch vereinigendes  Umfeld erst durch die Darstellungen in den Mittelpunkt des allgemeinen Bewußtseins.
Als Ergebnisse der Diskussion lassen sich folgende Punkte festhalten:
Online und Offline bleiben weiterhin zwei verschiedene Bereiche mit unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten. Wer daher versuche, die Gesetze des Offline-Bereichs eins zu eins auf den Online-Bereich zu übertragen, müsse notgedrungenerweise scheiteren, hieß es. 
Man müsse vielmehr erlernen, in einem Umfeld von lebenden Codes und launischen Code-Meistern, Politik nach neuen Regeln zu machen. Die mathematisch fundierte Magie des Netzes in ihrem globalen Funktionieren, losgelöst von kulturellen Kontexten, begreifen zu lernen und zu versuchen, auch im Hinblick auf nahezu unüberschaubare Entwicklungen in ethnischen, technologischen, marktwirtschaftlichen und anderen Bereichen der Welt, zeitbeständige Guidelines für die konkrete technische Anwendung von Direktiven auszugeben, erscheine unter den heutzutage bewusst werdenden, komplexen Bedingungen unserer Weltgesellschaft einfach nicht mehr möglich zu sein. Gleichzeitig gewönnen neben rationalen Erwägungen in diesen Fragen auch Fragen der Ethik erneut an Gewicht, was die Diskussionen nicht gerade erleichtere. 
Im gleichen Zuge entwickelten die technologisch determinierten Fragestellungen zunehmend unvorhersehbare, politische Dimensionen, die in ihren vielfacettigen Auswirkungen, auch wenn sie ihrem Inhalt nach nicht die lokale oder überregionale Tagespolitik der jeweiligen Staaten direkt berührten, als Folgeerscheinung von implementierten Technologien innerhalb eines Kulturraums diesen nachträglich auf  den allgemeineren Abstraktionslevels seiner technologischen Dimensionen immer verstärkter zu beeinflussten drohten.
Die technologischen Strukturen, über welche in jüngster Zeit besonders bei der Erörterung von Inhaltsklassifizierungssoftware, wie Content-Labelling-, Content-Rating- und Content-Filterungssystemen, gestritten werde, würden damit zunehmend mehr als die mit Content-Software zu klassifizierenden Inhalte selbst zu Inhalten von Diskussionen werden. Die dabei eingesetzten Technologien verlangten demzufolge ein explizites Expertenwissen und verlagerten dabei die inhaltlichen und politischen Betrachtungen nicht zuletzt aufgrund ihrer technologischen Natur von sprachlich vertrauten hin zum Fachchinesisch von abstrakten Formgebilden binärer Schaltzustände. Das ganze digitale Netz bestehe, wie es hieß, gleichzeitig aus technischen Parametern, die nahezu nach Belieben verschoben werden können. In wie fern dies Auswirkungen auf die globale Politik habe und in wie fern Techniker dadurch immer mehr Einfluss auf politischen Fragen gewönnen, konnte hierbei nicht entschieden werden. 
Nach wie vor bleibe die primäre Frage bei diesen Diskussionen aber nicht, zu bestimmen, was da alles geschaltet werde, also was für eine Art von Content letztendlich im Netz zirkulieren darf, sondern vielmehr, wie geschaltet werde, damit der und der betreffende Inhalt überhaupt erst zirkulieren könne. Vor allem gehe es aber auch darum zu erkennen, wer was wie schalten dürfe, bzw. wer die Macht über diejenigen ausübe, die zu das betreffende zu schalten in der Lage seien und es auch wollten. Genauso sei es zumindest bis dato in dem Zusammenhang auch nicht so interessant, wer bei einer Internet-Wahl (wie z.B. der At-Large-Membership-Wahl der ICANN im vergangenen Herbst) tatsächlich gewählt werde, sondern vielmehr, dass überhaupt eine Internet-Wahl stattgefunden habe.
Die damit verbundenen machtpolitischen Fragestellungen verweisen in diesem Zusammenhang alle samt nach Amerika, wo sich der s.g. "Route A Server" befinde, über den alle alphanummerischen Internetadressen-Abfragen liefen. Da dieser die einzelnen Route-Zones Files der Welt verwaltendende Server nach wie vor auf amerikanischen Terrain lokalisiert sei, unterstehe das gesamte Internet bei allem Cyberhype der real-politischen Verfügungsgewalt der US-Regierung und weniger international operierenden Corporations vom Format Sun und Cisco. Überspitzter formuliert, könne man jede einzelne bis dato versandte E-Mail, jeden einzelnen Site-View als einen Werbe-Trailer für Technologie-affinen Lifestyle aus Amerika und die damit verbundene amerikanische Gesellschaftsordnung werten. Cheese!
ICANN At-Large-Member Andy Müller-Maghun von Chaos Computer Club wies darauf hin, dass die amerikanische Regierung jederzeit bei politischen Meinungsverschiedenheiten mit anderen Staaten und Staatengemeinschaften ganzen Erdteilen aber auch einzelnen Individuen damit drohen könne, das Internet zeitweise oder für immer ganz abzustellen (wie bereits im Beispiel von "vote-auction.com" oder "etoy.com", etc. etc. erfolgt).
Wie verhängnisvoll sich eine solche technologische Abhängigkeit gerade im Hinblick auf strittige Fragen in der US-Außen-Politik auszuwirken drohe, wie z. B. die jüngsten Raketeneinsätze der USA gegen den Irak oder die Ablehnung der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls bewiesen, illustriere gleichzeitig wie das auf marktwirtschaftlichen Gewinn hin ausgerichtete Bestreben der Amerikaner, in der Welt unabhängige, innovative Struktur-Bildungsprozesse besonders im technologischem Sektor forciert voranzutreiben.
 Während die 1998 gegründete ICANN (Internet Coporation for Assigned Names and Numbers) ihren Fokus aber darauf gesetzt habe, unter internationaler Beteiligung, die technisch administrative Vergabe von amerikanischem Adressraum zu regulieren, forderte Andy Müller-Maghun jetzt, man solle in Europa, anstelle sich mit der bisherigen Abhängigkeitssituation abzufinden, seine gesamten Bemühungen darauf richten, eine eigene unabhängige A Route Server Infrastruktur in Europa aufbauen. Dieses Unabhängigkeitsbestreben stieß zunächst auf allgemeine Zustimmung, vor allem unter den anwesenden Repräsentanten der EU und der Industrie.
Ahmed Risk, der Vorsitzender der British Healthcare Internet Association und Mitglied des von der EU geförderten G8-"Enable"-Programms der Global Information Society, ließ verlauten, es sei an der Zeit "to reverse the balance". Von dem holländische amtierende ICANN Direktor und Vorstandsmitglied der ETNO (Europäische Gesellschaft für Telekommunikationsnetzwerke, Brüssel) Hans Kraaijenbrink, der diese Bemerkungen mit scheinbaren Bestürzen zu Kenntnis nahm, hieß es im Anschluß daran vor den streamenden Kameras von streamingminister.de: er glaube nicht, dass das kalifornische Recht schlechter sei als holländisches oder europäisches Recht. Damit unterstrich er aber auch gleichzeitig die internationale Ausweitung des amerikanischen Rechtsraums via Internet in alle entlegensten Teile der Welt. 
Andy Müller-Maguhn, Enfant Terrible der in Berlin versammelten Runde, hatte soeben das World Wide Web zum modernen Tool des amerikanischem Kulturimperialismus erklärt und Kraaijenbrinks zu "Understanding" ermahnenden Worten patzig entgegnet: "Stimmt, teilweise halten wir uns sogar an unsere Satzung". 
Im gleichen Ton setzte er nun kein Blatt vor den Mund nehmend zur Kür an: Das Zeitalter der Behinderungen sei vorbei. Alles müsse für alle frei verfügbbar sein. In Afrika sei der Aufbau von Bibliotheken nicht zu bezahlen. Da könne das Netz interessante Wege bieten. Auch im sonstigen Bildungswesen.
Plakativ formulierte er: "Computer sind Datenverarbeitungsmaschinen. Das mit dem Schutz ist einfach vorbei. Sollten wir jetzt endlich mal erkennen."
Bei diesen Worten standen nicht nur der Bundesministerin für Justiz die Haare zu Berge.
Man solle gleichzeitig nicht vergessen, hieß es, dass die raubkopierten Songs bei Napster nicht verpasste Umsätze der Plattenindustrie darstellten, denn die Mehrzahl der Raubkopierer verfüge in der Regel sowieso nicht genügend Geld, sich all diese kopierten Stücke dann auch als CD im Laden zu kaufen. Die Online-Verbreitung übers Netz stelle vielmehr eine recht harmlose und moderne Verbreitungsform für Daten aller Art dar und bedeute auch in ihrem derzeitigen Ausmaß keinen in Zahlen zu übersetzenden Umsatzverlust für die Industrie. 
Der diplomatisch geschulte Michael Leibrandt von der G8 DOT Force zur digital divide, der kurz zuvor noch behauptet hatte, kein Copyright sei menschenfeindlich, hatte zu diesem Zeitpunkt der Diskussion, den Raum bereits verlassen. 
Aber egal, ob der A-Route Server ein Weltbeherrschungsinstrument der Vereinigsten Staaten darstelle oder nicht, meinte Andy Müller-Maghun, die ICANN vertrete trotz aller Transparenz und trotz Unabhängigkeitsbeteuerungen knallhart fundierte Interessen. Die US-Regierungsnähe sei trotz aller entgegensetzer Äußerungen offenkundig. Von Unabhängigkeit könne daher nicht im geringsten die Rede sein. Es sei denn, man betrachte die USA in ihrer derzeitigen dominaten Führungsrolle in der Welt als die einzige Weltmacht und deute daher auch die Regierungsnähe der ICANN als eine prinzipielle Unabhängigkeit. 
Allein schon aufgrund der möglichen Plausibilität solcher Zusammenhänge solle man keine Zeit verlieren und mit dem Aufbau einer eigenen europäischen A Route Server Infrastruktur so bald wie möglich beginnen.

Nach unzähligen Wortgefechten kam Hans Kraaijenbrink im Anschlus an die offizielle Diskussion, nachdem viele bereits den Raum verlassen hatten, auf Andy Müller-Maghun zu. Dieser sah ihn entgeistert an und schüttelte mit dem Kopf. Sein Blick nahm einen  diplomatischen Ausdruck annehmen, dann sagte er zu Kraaijenbrink: "Wie konnte das nur passieren?"

Kurz danach traf man sich dann noch zum Bankett im Bundestag, zum Plausch mit den Großen, Wichtigen...

We are the eu in "dot.eu"
 
Peter Krell
 
Mehr dazu:
http://www.democratic-internet.de/berlin2001/




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