Peter C. Krell on 10 Apr 2001 16:27:44 -0000


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[rohrpost] Jaron Lanier....


Jaron Lanier, „Die schlechte Software wird uns vor dem technokratischen Untergang bewahren...“

Viele kennen ihn noch aus dem frühen Tagen des Cyberspaces. In der Tat hat er den Cyberspace erfunden. Das war damals, als er noch für frühe Atari- Games Soundtracks entwickelte, und bevor er die ersten Head-Set gesteuerten Multi-User 3D-Welten und entsprechende Schnittstellen wie Datagloves entwickelte, um sie dann an die NASA zu verkaufen. 
Heute sagt Jaron Lanier von sich, er sei in seiner Freizeit Wissenschaftler. Einige haben ihn aber auch zusammen mit Will Calhoun vor drei Tagen in der New Yorker Knitting Factory Techno Musik auf Eingebohreneninstrumenten machen sehen. Jaron Lanier steht nämlich wieder auf der Bühne, live. Das ist in so fern interessant, da der in New Mexico aufgewachsene, rasterlockige Cyber-Guru und Musiker Jaron Lanier schon Anfang der Achtzigern versuchte im Cyberspace eine virtuelle E-Guitarre zu entwicklen, mit der er dann auch hätte programmieren können. Seine Vision einer Virtual Programming Language, die Repräsentationsformen von Codes jenseits der normal üblichen Texteditoren-Oberfläche über Bewegungs- und Soundsensoren ermöglichen sollte, geistert seither allen Innovations-Fetishisten durch den Kopf. Im vergangen Jahr nahm David Gelernter auf Laniers frühe Visionen der Datenvisualisierung jenseits der Desktop-Metapher Bezug und erntete von vielen Entwicklern bissige Kritik, da er die Idee als seine eigene ausgab.
Nur sieht es heute immer mehr so aus, als könnten Laniers Visionen von damals schon in naher Zukunft Reallität werden. 1998 kaufte Sun Microsystems die Rechte an Laniers Entwicklungen und gleichzeitig werden Computerspiele und Hardwarearchitiekturen bei immer höherer Komplexität immer leistungsfähiger. Auch die mobile Übertragung von 3D-Struktur-Daten über dezentrale Netzwerke wird im gleichen Zuge komfortabeler wie die Rendering-Prozesse auf den dafür erforderlichen 3D-Engines zunehmend optimiert werden. Deshalb ist es gar nicht mehr so sehr an den Haaren herbei gezogen, Musik und Programmierung, anders als im Fall Napster, heute wieder zusammenzudenken. 
Lanier jedenfalls beteiligt sich seit 1997 nicht zuletzt aus diesem Grund federführend an der National Tele-Immersion Initiative (NTII) im Internet2, die es Wissenschaftlern ermöglichen soll, in einer Art Telekonferenzschaltung über Netzwerke in Realtime gemeinsam virtuelle Realität zu erleben und wissenschaftliche Visualisierungsstrategien der Modellbildung gleichzeitig interaktiv zu manipulieren. Man weiss zwar noch nicht, wie das Internet der Zukunft aussehen wird, aber man hat eine Idee. Werden die hybriden teil-realen Räume von morgen, deren Urahnen „unsere“ Handys waren nicht auch unsere Auffassung vom Menschen und seiner Realität grundlegend verändern? Was wird es in solch einer Welt bedeuten, ein Instrument zu spielen?
Der Musiker Lanier, der über die weltweit größte Sammlung von noch gespielten Instrumenten verfügt und viele von ihnen spielen kann, weiß es auch nicht. Er hat dafür damals, was viele nicht wissen, Leuten vom Rasenmähermann Film Team Equipement aus seinem Labor zur Verfügung gestellt. Manchmal sitzt er auch draußen auf der Terrasse seines auf einem Hügel befindenden Hauses in Sausalito, Californien, von wo aus er einen herrlichen Blick über San Francisco Bay hat, und denkt einfach nur nach, über das Leben, die Musik, die Welt und das Netz. 
„Information is Alienated Experience.“ meint er, denn in wie fern sich die Informationen im Cyberspace darstellen lassen darum geht es. „Post-symbolic Communication“ und „Collaborative Communication“ sind dabei die wesentlichen Kernbegriffe, die er nennt. 
Aber egal, wie man sich die Kommunikationstechnologien der Zukunft vorstellen mag: Naturliebhaber Lanier betont immer wieder gegenüber den s.g. Cybertotalitaristen seinen vehement ablehnenden Standpunkt.
Seiner Ansicht nach sind Computer zwar fazinierende Maschinen, aber ihre Aufgabe bestehe primär darin, Menschen zusammen zu bringen.
Die Informationen als solche, die mittels der Computer zirkulieren sollten niemals als das Wahre an sich betrachtet werden; ihre Bedeutung lässt sich vielmehr erst durch den Gebrauch durch Menschen erkennen. Die eigentliche Bedeutung liegt also nicht in der Benutzung dieser Medien sondern in den Menschen. Niemals sollte man daher glauben, dass Software Modelle jemals Menschen ersetzen könnten.
Hier ist eine partielle Dienstliste mit Glaubenskomponenten dessen, was Jaron Lanier mit kybernetischen Totalitarismus outet. 

Der weiße Rastafa grinst. Die Seitenhiebe auf Ray Kurzweil und Hans Moravec liegen auf der Hand. Punkt für Punkt nimmt er die Cybertotalitaristen auseinander.
Zwar ist er seit geraumer Zeit auch einen Online-Dienst im Format digimask.com beteilligt. Das ganze nennt sich Eyematic.com und bietet internationalen Usern die Möglichkeit, mit zwei Fotos Avatare-Köpfe von sich zu anzufertigen. Aber Lanier geht dabei behutsam vor, denn er meint, dass Cyber-Totalitaristen auch schon deswegen keinen Grund zum Lachen hätten, da sie sich vorstellen können, dass menschliche Erfahrung nicht existiere. Solche mediengeprägten Menschen verfügen allen Anscheins nach also kaum noch über primäre subjektive Erfahrungen und seien daher äusserst bemitleidenswerte Geschöpfe. Von solchen Menschen glaubt er, sie passen sich ihrer scheinbar von Computern dominierten Umwelt in dem Maße an, dass sie sich im Endeffekt ihnen auch im Verhalten angleichen, im Glauben, der Computer repräsentiere ein höheres Bewusstsein. Dem ist aber nachweislich nicht so. Im Gegenteil lässt sich in vielen Fällen nachweisen, dass über 99 Prozent der heute Verwendung findenden Software nicht zuletzt aufgrund von Patentfragen alles andere als optimal ist. Computer sind trotz Artificial Intelligence und Fuzzy Logic noch immer Maschinen, die Daten so prozessieren, dass sie ihrem Inhalt gegenüber indifferent behandelt werden. 
Versuchen Menschen also so zu funktionieren, wie Shannonsche Informationsverarbeitungsmaschinen, z.B. in der Verwaltung, da sie anders die monotone Arbeit nicht ertragen, dann macht sich dies im Verlust von Menschlichkeit und auratischer Geistlichkeit bemerkbar. Solchen Menschen, denen dann jegliche Ausstrahlung fehlt, treten andere Menschen in der Weise gegenüber, dass sie sich gemäß ihrem automatistischen Rollenmodells mehr und mehr ihrer Umwelt entfremden, zunehmend in Befehlen denken und sich auch schon aus Gründen der mangelnden Effizienz im Alltag lieber mit ihren Maschinen beschäftigen. Dieser Prozess führt zu einer geistigen Verarmung. 
Jaron Lanier weist auf diesen Mechanismus hin. Es ist daher mehr als politisch korrekt, diesen gescheiterten Unternehmer und Unterstützer der Open Source Bewegung von Zeit zu Zeit einen virtuellen Besuch auf seiner Website abzustatten. Lanier updated seine Web-Site regelmässig und ist äußerst vielseitig orientiert, so dass es sich immer wieder als ein Erlebnis erweist, die aktuellen Trends und Entwicklungen in seinem Umfeld nachzuvollziehen. Man kann ihn auch, als Redner zu Veranstaltungen einladen. In Berlin war er bisher noch nicht.

foto und links bei:
http://metronaut.de


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