Peter C. Krell on 21 Mar 2001 15:42:27 -0000


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[rohrpost] zu stolz, um noch stolz zu sein....?


(ich wollte ja auch mal stolz sein...)

Liebe Mikros,

es war mir ein Vergnuegen, auf Pits Rat hin, Artikel bei Euch zu publizieren.
Nach meinem kritischen Transmediale Review, werde ich jetzt nicht 
mehr gebracht. Was fuer Gruende kann das haben. Sind die kritischen 
Aeusserungen nicht mehr systemkonform? Muesst Ihr sie dann nicht gerade 
deswegen bringen? Im Netz da liegt man nicht eng. Schwarze Milch der 
Fruehe, wir trinken Dich taeglich, Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. 

Wir trinken und trinken. Unser Hirn weg. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
Ein ploetzlicher Futurist. Ein Funkenstrahl. Und der Freibrief zum 
Toeten wurde ja in HIV und BSE Biophysikalischen Struktur-Code ja 
schon angeschrieben. Auslaender raus nicht wahr? Haltet die Debatten 
sauber. Schoenes Pseudo-Theorie-Gesaeusel, um Luhmann ein letztes 
Mal zu preisen, denn er trat in seinem letzten Buch eindeutig aus 
dem von ihm ins Leben gerufenen Circle hinaus. Die Realitaet der Massenmedien."Wir" 
warten auf Godot. Oder warten wir auf einen kritischen Geist, der 
unser Denken mal ganz anders denkt. In anderen Struktur-Kanen der 
cross-medialen Medienaugmentation? Wortgewaltige Textmonumente und 
eine Verbeugung vor Eurem Mut treiben mich sogleich zurueck auf den 
Berg, von wo aus jene ihren Fuerstenblick riskieren. Kassandra spricht: 
ich sehe Licht! Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe! 
Denn den Lueften nah, kann man sich auch eine Gehaltserhoehung goennen. 
Fragt Busch!

Gruesse von Sloterdjik.

Drum noch mal:

Rot-Grün-Weiss-Transmediale Review

Im Projektionsrechteck der diesjährigen nach guten Regeln bürgerlich 
organisierten Veranstaltung der crossmedialen Liebe -"Transmediale 
2001"- sind soeben rund 800 Minuten Festivalprogramm ins virtuelle 
Land gezogen. Im Erscheinen verschwunden. Über die Grenzlinien der 
Länder hinweg fanden die Arbeiten internationaler MedienkünstlerInnen 
ihren Weg zum Festival (quo vadis), während die VeranstalterInnen 
trotz des knappen Budgets Mittel und Wege sich erschlossen, um attraktive 
Gäste aus Medien-Exportländern, wie neuerdings auch Kanada, einzuladen 
und sie im Rahmen von Workshops und Diskussionspanells zu heissen 
Themen wie Musik im Internet, Social Software und Robotik zu Wort 
kommen zu lassen. 
Man rechnete aufgrund der unverständlichen Etatkürzungen seitens des 
Berliner Senats mit weit weniger, als dann realisiert worden ist und 
freut sich im nachhinein mit allen alten Transmediale-MitarbeiterInnen 
und dem neuen Kurator Andreas Broeckmann um so mehr über ein insgesamt 
erfolgreich verlaufenes Event. 
Zwar musste dieses Mal auf die traditionelle Medien-Ausstellung im 
hinteren Teil des Podewils verzichtet werden, dennoch konnte man seinem 
Anliegen gerecht werden, bei aller Kunst und aöllem Hype auch einem 
sprachstrukturkritischem Sendungsbewusstsein Ausdruck zu verleihen. 
Und dies in seiner brisanten, weltpolitischen Dimension. Denn bei 
E-Democracy handelt es sich, wie sich herausstellte, nicht nur ein 
pragmatisch, abstraktes Problem der technischen Realisierbarkeit von 
s.g. Ballot Boxes und Datenverschlüsselungsstandards sondern auch 
um einen Bewusstseinsdiskurs, der sich vor dem Hintergrund verschiedenster, 
gängiger Identitätsmuster eng an die Frage anknüpft, in welchen Sprachen 
denn über international zu erörtende Themen einer delokalisierten 
Umweltpolitik beispielsweise verhandelt werden soll. Dass die sich 
an den Diskurs anschliessende Abstimmung dann ihrer numerischen Auslese 
gemäss in technischen Sprachmodi der Verwaltungsbürokratie vollziehen 
wird, steht ausser Frage, aber sich aus leichteren Abstimmungstechnologien 
mehr demokratiemüde Wähler zu erhoffen, ohne entsprechende Aufklärungsstrategien 
im gleichen Zuge mitanzubieten, grenzt an Betrug.
Die dabei zu Tage tretende, fast schon väterliche, gönnerische Unverfrorenheit 
einer sich sicher wähenden Führungselite spiegelt in diesem Zusammenhang 
auch gleichzeitig das derzeit vorherschende politische Denken in frappierend 
anschaulicher Form wieder.    
Damit sich die mit interaktiven Audio-Patches erklingenden virtuellen 
Räume der solisistischen Verzweifelung in s.g. Jamming Sessions cybershärisch 
annähern können, muss erstmal das richtige Bewusstsein her. Dahin 
führt einen erstmal ein abstrakt strukutureller, selbstreflexisver 
Beobachtungsdiskurs der eigenen sprachlichen Mittel. Dann kommen die 
zu konzipierenden Schnittstellen, in contruction mode, Prototypen 
in progress, translokale Archive und neue transdiszipliäre Arbeitsgruppen 
zur Generierung von transmedialen Content. 
Die Visionen schwirren frei im Raum umher, deutlich sichtbar im ungreifbaren 
File-Sharing-Pool der Ideen. Ihre Verwirklichung ist genauso ein politisches 
Projekt wie die Sprachhandlung darüber zu sprechen, jeweils gebunden 
an körperliche und geistliche Vorgegebenheiten der einzelnen Beteilligten, 
die es bei den Debatten zu berücksichtigen gilt. Man möchte trotz 
dieses augenscheinlichen Pluralismuses gleichzeitig Komplizen gewinnen, 
einen Weg am virtuellen Limes gemeinsam erkunden und seine Pfärtenauslese 
mit allen anderen netzaffinen NutzerInnen, welche "wir" sind, teilen.

Und was die Wirklichkeitsräume einem versagen, erklingt dann teilweise 
noch deutlicher im materiellen Netz als immaterielle Zukunftsstrategie 
beispielsweise des Outsourcings von Speicher- und Programmangeboten, 
was letztendlich zu einer Entlastung der Users durch kleinere, leichtere, 
portable Interfaces und größerer Skalierbarkeit der Anwendungen führen 
könnte. Die damit sich abzeichnenden Veränderungen im Breich der Kunst 
hervorbringenden, internationalen Geisteslandschaft to be sind dabei 
so gravierend, dass sie sich als allgemeine Zukunftsvisionen immer 
nur in ihrer sprachsystemischen Selbstreflexivität denken lassen und 
zum Heraustritt aus den bestehenden Strukturen anregen. Denken in 
Bildern, Denken in Tönen, Denken in Bewegungen und Mustern, jenseits 
von Sprache -> Handlungen und Affekte ungeahnten Ausmasses sind die 
Folge eines sich medial augmentierenden Diskurses. (Punkt)
 Auch Zukunftsvisionen wie diese, Speicher und Programme aus der Steckdose 
als kostenpflichtige Zukunftsdienste anzubieten, lassen eine neuen 
Generation von Anwendungstechnologien am virtuellen Horizont in Erscheinung 
treten, was in seiner ubiquitären Konsequenz auch die Umorientierung 
in der Musikindustrie plausibel werden läßt. Fortan soll Musik einem 
referierten Tenor der Midem 2001 zufolge nicht mehr als Trägermedium 
gebundenes haptisch veräußerbares Objekt gedacht werden, sondern als 
Service in seiner neueren Dimensionen als unendlicher Soundfluss, 
als Mix oder Stream konzipiert sein und entsprechend mit interaktiven 
Steuerungstools als Backgroungapplication an User vermarktet werden. 

MP3, jenes alte Sound-Format aus dem Jahre 1981, wird in dem Zusammenhang 
irgendwann abdanken und neue Streaming-Media-Formate aus dem Hause 
Free und Open Software könnten dazu die entscheidenden Basis-Technologien 
jenseits von Copyright bereitstellen.
Da alle Nicht-ProgrammiererInnen in den Debatten trotz ihrer offen 
zur Schau getragenen Je-ne-sais-quoi-Attitüden sich in Zukunft nicht 
darauf verlassen sollten, dass ihre Ignoranz im Bezug auf die kulturellen 
Errungenschaften jener Programmierersolitärs, jenen sich verwegen 
mächtig wähnenden Abgesandten der Zukunft, noch lange positive Resonnanz 
bei klugen Menschen finden wird, zeigt auch dies, wo das Umdenken 
anzusetzen hat. Ob C das Latein der Neuzeit ist oder nicht, steht 
dabei gar nicht zur Debatte. Wichtig ist vielmehr, dass, wie Andreas 
Broeckmann betonte, ein Grundverständnis in code-affinen Bereichen 
einer globalen Kultur, im Zuge einer Ausbreitung von globalen Netzwerken 
unumgänglich werden wird.  
 Deshalb sollten auch Programmier- und Hardwarekurse sinnvollerweise 
ähnlich wie Mathematik an allen Schulen in Europa oder der am besten 
in der ganzen Welt angeboten werden. Dabei könnten dramaturgisch durchdachte, 
interaktive Lernkonzepte mit Unterhaltungsapekten bereichtert werden 
und Kindern das Lernen jenseits des Normenkanen der jeweils dominanten 
Sprachen erheblich erleichtern (vielleicht sogar jenseits der linearen 
Konzepte von Listen). Vielmehr könnten die Strukturen der Sprachen 
selbst als Animationen und Methoden visualisiert und spielerisch erlernt 
werden. Dies würde die Ausgrenzung von Individuen aus der Gesellschaft 
wahrscheinlich erschweren und gleichzeitig Ausländern den Zugang zur 
s.g. Hochkultur erleichtern. Ob man soetwas jedoch will, ist ein poltisches 
Thema für sich, über das sich online abstimmen liesse. 
Da man aber bei der Transmediale nach wie vor noch den leicht anachron 
wirkenden Juroren-Urteilen bei der Auslobung der gestifteten Gelder 
vertraut und kein bürgernahes, e-demokratisches Votum im Bereich Best 
Artistic Software, Best Video und Best Interactive zulässt, werden 
in Zukunft die Macher des Festivals ihre Glaubwürdigkeit in diesen 
Fragen durch grundlegende strukturelle Reformen unter Beweis stellen 
oder nicht.
Da jedoch alles "Cyber-" nach Bruce Sterlings diktatorischem am 7.2. 
um 23 Uhr im WMF erklungenen Wort nur noch out ist und in Zukunft 
"Cyber-" als Extention von "Geno-" und "Nano-" gedacht werden sollte, 
 wobei die Schnittstellen zu diesen Technologien noch nicht hinreichend 
gegeben sind, kann damit gerechnet werden, dass im Bereich des biometrisch 
augmentierten "Cyber-Votings" alle Vote-Auctions für immer der Vergangenheit 
angehören werden und sich gleichzeitig neue Felder des Erkennens durch 
die Integrations von MedizinerInnen und anderen NaturwissenschaftlerInnen 
in den transmedialen Diskurs ergeben werden. 
Die quantischen Geno- und Nano- Tendenzen der derzeitgen Entwicklung 
wurden beim diesjährigen Festival nicht genügend honoriert oder nur 
in Ansätzen reflektiert. In diesem Sinne ist man gespannt darauf, 
wenn es wieder heisst: Transmediale 02.-

Nähere Informationen, sowie Laudatio-Texte der JurorInnen unter:
http://www.transmediale.de

Mit freundlichen Gruessen,

P. C. Krell

(Credits: Die Hauptevents wurden dieses Jahr von der Frima B-Stream 
ins Netz gestreamt. Kamera gemacht hat die Firma In&Around. Das wunderschöne 
Design dieses Festivals ist der Berliner Design-Agentur Aroma zu verdanken.) 
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