Peter C. Krell on 12 Jan 2001 17:41:58 -0000


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[rohrpost] Basieux: Mathe ist in!


"Die Architketur der Mathematik"
offene Fragen als Motor kontinuierlicher Entwicklung

Pierre Basieux, der Verfasser diverser Schriften zum Thema Mathematik
und Spieletheorie, hat im November 2000 einen neuen Titel in deutscher
Sprache veröffentlicht. Erschienen ist das Buch dieses hauptberuflichen
Unternehmensberaters im Rowohlt-Taschenbuch-Verlag. Es bibliografiert
unter dem bezeichnenden Titel "Die Architektur der Mathematik - Denken
in Strukturen". 
Basieux geht es nach eigen Angaben in seinem Buch darum, mittels einer
strukturellen Betrachtung der Mathematik ein prinzipielles Verständnis
derselben seinen Lesern zu vermitteln. 
Vor allem aber geht es darum, zu begreifen, daß sich in der Mathematik
Strukturen vorfinden, die sich ständig in Bewegung befinden. Daher läßt
sich die These von einer Architektur der Mathematik nur vor dem
Hintergrund der neueren biomorphsitischen Strömungen unter Prof. Colin
Fournier et al. halten. Gemäß dieser in verschiedenen Zeitfenstern
vonstattengehenden Iso- und Automorphistik der Mathematik scheint die
Welt der Ideen seit Platon vor dem Hintergrund mehrerer
medientechnischer Revolutionen fortlaufend angewachsen zu sein. Zwar
bescheinigt Basieux in diesem Zusammenhang dem Platonismus als solchen,
in seiner allgemeinen Hochschätzung der reinen Ideen vor ihren sur- und
injektiven Abbildungen im Symbolischen des Realen, das Zeugnis
intellektueller Schizophrenie, aber selbst wenn einem eine solche
negative Beurteilung Platons Philosophie nicht zu sagt, ergeben sich
daraus sehr viele Fragen, im Bezug auf das, was die Mathematik auch in
Abgrenzung zur klassichen Ontologie denn nun letzten Endes sei. 
Basieux kennzeichnet die Mathematik als ein "kreatives
Science-Fiction-Spiel", das allein darin bestehe, "aus dem axiomatischen
Fundament immer weitere Theoreme abzuleiten, die wiederum als
Ausgangspunkte für weitere Herleitungen benutzt werden können." (S.170) 
Denn obwohl die Mathematik nach neuerer Zählung in über dreitausend
unterschiedlich spezialisierte Einzeldisziplinen (Davis/Hersh, 1994)
zerfällt, können heutzutage dennoch drei axiomatische Hauptsäulen als
Träger des mathematischen Denkens identifiziert werden. Bei diesen
Strukturen handelt es sich um: die Ordnungsstruktur, die algebraische
Struktur und die topologische Struktur, die alle zusammen in einer Art
mathematischer Drei-Einigkeit als Basis für weitere , aus Axiomen
zusammengesetzte, hybride Mischstrukturen dienen, welche ihrerseits
unter der Einführung von weiteren Axiomen spezielle Strukturen
mathematischer Modelle und Fallbeispiele ausbilden. 
Basieux` Weg zur dieser Erkenntnis führt über orbitale Betrachtungen zur
Struktur der Mathematik. Sie nehmen ihren Ausgangspunkt im Aufgreifen
eines einfachen Mengenbegriff der Dinge als Elemente ihrer jeweiligen
Klassifikationskategorien in ihren jeweiligen relationalen
Wechselwirkungen innerhalb mehrerer systemischer Zusammenhänge.
Ausgehend vom Objekt also, geht Basieux über zu einer Betrachtung von
einfachen und komplexeren Beziehungsprinzipien und von da aus hin zur
Skizzierung von multiplen kombinatorischen Strukturen, wie zum Besipiel
Räumen, in denen solche Beziehungen stattfinden. 
Dennoch handelt es sich bei diesen Buch nicht um eine strikte
mathematische Abhandlung. Ganz im Gegenteil. Die mathematischen Formeln,
wie man sie aus heutigen wissenschaftlichen Abhandlungen gewohnt ist,
blieben weitgehend ausgeklammert. Das erklärt sich auch aus dem von
Basieux formulierten Motiv von der Transparent-Machung der Mathematik
als solcher:  "Die Begriffe sollen vor dem strukturellen Hintergrund
durchsichtig werden, und hervortreten soll der reine Denkvorgang." (S.
169)  
Denn genauso wie Cantors Mengenlehre bezeichnen Geometrie und Alegbra
immer ein Gemachtes, das sich in Symbolen von Menschen durch Menschen
mit Hilfe von Appartaten anschreiben und vermitteln läßt. All dies
scheint nach den genau vorgegebenen axiomatischen Grundregeln der Logik
wundersam zu funktionieren und wird vor dem Hintergrund menschlicher
Irrationalität dennoch immer nur als ein Akt der reinen Willkür erlebt.
Auch Basieux` selbstverschuldeter Versuch, einen Überblick über die
Ordung der multi-relationalen Ordnungsstrukturen und den dadurch
gekennzeichneten strukturellen Aufbau der Mathematik an sich geben zu
wollen, ereignet sich vor den Leseraugen unter dem Verdacht der
Willkürlichkeit. In Anlehnung an den Bourbaki´schen Versuch einer
Beschreibung des Aufbaus der Mathematik in multiplen Mischstrukturen
führt dies bis hin zum Kolmogoroff`schen Konzept eines
Wahrscheinlichkeitsraum und damit besonders dort zur Verwirrung, wo mehr
Übersichtlichkeit das eigentliche Ziel der Untersuchung war. 
Zu vermuten ist, das dies besonders deshalb so ist, da einem im Bereich
der irrationalen und komplexen Zahlen in n-dimensionalen Räumen die
euklidische Anschaulichkeit ohnehin verlorengeht und Metaphern des
Überblicks (oder der Übersichtlichkeit) unter solchen Vorzeichen nichts
weiter zu bedeuten scheinen, als ein kollektives Delirium ubiquitären
Ausmaßes (wohlgemerkt rein nach logischen Regeln). 
"Die Ordnung einer Untergruppe teilt die Ordnung der Gruppe." (S.94) Von
diesem Satz heißt es bei Basieux, jenem Verfasser des Buches "Die Top
Ten der schönsten mathematischen Sätze", es handele sich bei ihm um
einen der schönsten mathematischen Sätze überhaupt. Die Gruppenelemente
erfüllen also schönerweise die Overall-Gruppenpostulate, ganz im Sinne
einer jeden Volksgemeinschaft.
Wenn die Mathematik also schöne und nicht so schöne Sätze hervorgebracht
hat, dann kann ein  Individuum, das das Wertesystem seiner Sprache neben
einem lokalisierbaren Wirkungsraum dieser Sprache mit anderen Individuen
teilt, nachdem sie in Theoremen und Aixomen von Mathematikern
vorformuliert und von Individuen verstanden worden sind, aus einer
unglaublich bunten Vielfalt schöpfen und so seinem alltäglichen
Ausdrucksvolumen abstrakte Tiefe verleihen. Und wenn die Mathematik
heutzutage die universale Metasprache in der wissenschaftlichen Welt
darstellt, hat sich damit auch ihr Wirkungsraum globalisert, was zur
Folge hat, daß die Mathematik neben Englisch zur aktuellen Lingua Franca
der heute maßgebenden Naturwissenschaften geworden ist. Daher wäre es
wahrscheinlich um so schöner, wenn sich das universale Diktum der
Mathematik in allen Wesenszügen des morphologischen Seins nachweisen
ließe, denn dann und auch nur dann wäre die endgültige Vaterschaft der
Mathematik am Universum für alle Zeiten bewiesen und man müsste nur noch
eine Sprache lernen, die der Mathematik nämlich, und nichts anderes.
(Anderenfalls könnte die Mathematik auch als Effekt des Gehirns gelesen
und verstanden werden.)
Basieux geht es aber weniger darum machtpolitische Fragen einer global
operierenden geistigen Elite zu klären, als viel mehr neue zu stellen
und darin ähnlich wie Cantor den eigentlichen Motor der Mathematik und
des Lebens überhaupt zu erkennen.
Daher weiß die LeserIn am Ende ihrer Lektüre auch nicht mit hundert
prozentiger Sicherheit zu sagen, ob der große französische Mathematiker
Henri Poincaré beispielsweise als Zeitgenosse Felix Kleins mit seiner
eigenen sich von der Riemann´schen "Geometrie der Mannigfaltigkeiten"
abgrenzenden Theorie der systematischen Algebraisierung der
verschiedenen anerkannten Geometrien (euklidische und nicht euklidische
Geometrie [Gauß, Riemann, Lobatschewskij und Bolyai], Möbius´sche
Geometrie in der Ebene, konforme Geometrie, projektive und affine
Geometrie und Diffentialgeometrie) gemäß einer höheren Ordnungsstruktur
der Topologie nämlich in letzter Instanz auch mit Kleins lakonischem
Satz übereingestimmt hätte: "Geometrie ist Gruppentheorie" (S.136) .
Genauso wenig weiß man auch, ob sich dieser Satz generell auf die
Mathematik heutzutage verallgemeinern ließe. Ob nämlich Mathematik ein
soziologisches Phänomen geworden ist oder nicht. 
Denn unumstrittener als das Christentum hat die Mathematik als
Glaubenssystem ihren weltweiten Siegeszug bereits ante Christi natum
angetreten und ist gerade im Begriff den alten Geisteswissenschaften mit
der Einführung dieses soziologischen Stranges der Mathematik und dem
globalen Geldmarkt den Gar auszumachen. (Luhmann läßt grüßen.)
Aber darum geht es Bausiex auch gar nicht. Er will vielmehr zeigen, daß
sich irgendwann Menschen vor dem Hintergrund der globalen
Computerisierung "über mathematische Objekte und Fragen unterhalten
können wie über Politk und soziale Themen- ohne Formeln, nur durch den
verbalen Austausch von Ideen sowie die Kraft ihrer Argumente." (S.9)
Genau dies ist der grundlegende Anspruch Basieux. 
Ob sich aber schon heute über die Mathematik so unterhaltsam schreiben
läßt, wie Basieux es sich vorstellt, thematisiert sich gewissermaßen als
ein Nebeneffekt der strukturellen Betrachtungen zur Mathematik in
zahlreichen Annekdoten und Zitaten aus der popolären Kunst- und
Wissenschaftsgeschichte, was nichtzuletzt bereichert um die vielen
schönen Grafiken, tiefe Einblicke in die Historizität unseres heutigen
menschlichen Denkens gewährt. Ob die Augen beim Lesen der letzten Zeilen
dieses Buches dann auch leuchten ist eine Frage, die ein Leser nach dem
Lesen von Basieux Buch jedenfalls nicht automatisch mathematisch
berechnen kann.

Peter Krell

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