Peter C. Krell on 5 Jan 2001 20:24:22 -0000


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[rohrpost] Kritischer 3C17 Review...


entweder:

http://metronauten.de/media/mediaccc.html

oder ohne Umlaute
In Struktur gegossenes Chaos 

Der 17. Fachkongress des Chaos Computer Club e.V. (CCC) hat vom
27.-29.12.2000 im Haus Am Köllnischen Park stattgefunden. Gekommen waren
rund 2.500 Besucher. 
Dramaturgisch wunderbar durchkomponiert, vollzog sich vor den Augen und
Ohren der Kongressteilnehmers ein äußerst vielschichtiges Programm, das
für jeden Interessenkreis im Bereich von Tele-Kommunikations-Hightech
eine passende Veranstaltung anbot. Es gab bis auf wenige Ausnahmen kaum
Pannen. 
Daher stellt sich die Frage, ist nämlich angesichts der zunehmenden
Professionalisierung: was ist am CCC noch chaotisch?
Daten flossen durch das zum Daten-Funk-Netz ausgebaute Intranet des
Kongresses und traten damit pro Datenübertragung im polyfrequenten
Discord ihrer vielen Prozessoren den Beweis dafür an, daß jeder
Kopiervorgang von Daten selbst im all-dynamischen HiTech-Netz nie über
Allan Turnings grundlegendes Funktionsparadigma der von ihm konzipierten
Universalmaschine hinauszudringen vermag. Dennoch werden Hacker- und
Anwender-Herzen dank eben dieser funktionierenden Kopieralgorhythmen Bit
für Bit aufs Innigste erfreut, inniger noch, als durch irgendwelche
Glückwunschkarten oder Weihnachtsnachtsgeschenke. 
Der hellsichtige Daten-Flaneur konnte also auch dieses Jahr wieder auf
reichlich Beute im Netzwerk hoffen. Und in der Tat: viele vor Freude
funkelnde Gesichter fanden sich vor und neben zahlreichen flimmernden
Displays. Sogar aus dem Ausland war eine beachtliche Zahl von
TeilnehmerInnen angereißt, die wie ihre in der Mehrzahl und clanweise
anwesenden deutschen MitstreiterInnen es nicht scheuten, in
stundenlangen Sitzungen gemeinsam im Netzwerk Daten zu jazzen.  
So weit so gut. Was aber ist angesichts des sich global ausbreitenden
Datendschungels Internet heute noch wirklich Chaos? 
Nun, der Definitionen gibt es viele. Besonders im Internet, dem ersten
Medium, das seine eigene chaotische Struktur per Anfrage erklären kann:
Ray Kurzweil, ein in letzter Zeit heftig diskutierter und umstrittener
KI-Aktivist der ersten Stunde, vertritt in seinem Buch "Homo S@piens"
eine sehr schöne Chaos-These, nämlich die, dass sich der eigene
Zeitbegriff nicht ohne weiteres mit Gordon Moores Gesetz vom
exponentiellen Wachstum der Rechenleistung von Computern in Einklang
bringen läßt. Technische Entwicklung und eigene Entwicklung befinden
sich bei vielen Menschen damit in einem Widerspruch. Um diesen
Heideggerischen Gedanken der sprunghaften Zeitentwicklung in das
trockene Gebiet der Computer Science hineinzupflanzen, versucht
Kurzweil, das Choas in drei hypothetischen thesenhaften Gesetzen zu
definieren: 
Er schreibt erstens, dass die Zeit im Wesentlichen in Relation zum Maß
der Unordnung ablaufe, oder dass die Zeiträume zwischen herausragenden
Ereignissen mit dem Maß der herrschenden Ordnung oder Unordnung länger
oder kürzer werden. 
Zweitens beschreibt sein Gesetz der wachsenden Unordnung, daß mit
wachsender Unordnung sich die vergehende Zeit exponentiell verzögere"
(d.h., der Zeitabstand zwischen den herausragenden Ereignissen wird mit
der Zeit immer länger.)" Demgegenüber lautet drittens die umgekehrte
Ableitung dieses Gesetzes: "Mit der exponentiell wachsenden Ordnung
beschleunigt sich die Zeit exponentiell (d.h., die Zeitabschnitte
zwischen den herausragenden Ereignissen verkürzen sich.)" Sprich: je
chaotischer ein System ist, desto langsamer vergeht die Zeit. Daher ist
Chaos, im Grunde genommen, etwas äußerst Konservatives, denn es bewahrt
den Moment. Je geordneter und zeiteffizienter ein System funktioniert,
desto weniger heftig wird es durch Chaos behindert.
Nun, dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie theoretische als Filter der
Wahrnehmung funktionierende Spitzfindigkeiten auf einem hohem
Abstraktionslevel zu tragischen Mißinterpretationen führen können. Das
Leben organischer Lebewesen ist nicht weniger chaotisch als das ihrer
elektrisch betriebenen Kommunikationsprothesen. Das bedeutet in seiner
problematischen Verkürzung dann direkt auf den Kongress bezogen, daß
nicht alles von dem, was beim Kongress gesagt und behauptet wurde, war
auch verständlich. Die kryptographische Element der Verständigung, wenn
es um Computer und Netzwerktechnik geht, ist der mathematisch
feldherrische Fachjargon in seinen standardisierten Symbolen. Was so
viel heißt, wie, um es mit Einstein zu sagen: "Alles sollte so einfach
wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher." (Und dennoch oder
gerade deswegen waren nicht wenige Kongreßteilnehmerinnen weiblichen
Geschlechts.) 
Wer Ray Kurzweils Auffassung nicht teilt und auch nicht, daß sich das
Chaos im System als Struktur selber denken läßt, in all seinen
substrukturellen und möglichen Formen zeitlich vergänglicher
Zusammenwürfelung, für den verging auch die Zeit während dieser drei
Kongress-Tage  nicht wie im Fluge, also schnell, sondern träge und
langsam. Dem war aber, wenn man den begeisterten Mienen der kaum noch
schlafenden Data-Junkies glauben darf, keineswegs so. Alles verlief ganz
wunderbar nach Andy Müller-Maghuns "Fahrplan". Auch die zu "Engeln"
ernannten freiwilligen HelferInnen des Kongresses fungierten ihrem
Einsatzprogramm gemäß und ließen zu überfüllen Veranstaltungen keine
Leute mehr rein. 
Dies war sicher auch sehr im Sinne der nach Wau Hollands Angaben
(Gründer des CCC) knapp über zehn Teilnehmer aus der New Economy. Sie
hatten im Gegensatz zu einem Standard-Eintrittszahler statt der 60 DM
ganze 2300 DM berappen müssen und dennoch fleißig bei den einzelnen
Panells mitdiskutiert, was teilweise dazu führte, daß sich so manche
Mythen aufklärten, oder in extremen Fällen mit dem Orakelspruch eines
Entwicklers sich eine gesamte Business-Idee sich als technisch unhaltbar
entpuppte. 
Wie auch immer, mit Andys Ernennung zum ICANN-Presidenten weht allen
Anschein nach ein frischer orestischer Wind beim CCC. Das macht sich
auch äußerlich bemerkbar. Ein neues 2001 inspiriertes Design von
T-Shirts, Postern und Website zeugt von neuen schöpferischen Impulsen im
ansonsten recht domestizierten Chaos. Neben dem obligatorischen Kursus
im Knacken von realen Schlössern konnten die Kongreßteilnehmer sich im
Forum für Kreativität (organisert von der C-Base), im Hackzenter, in der
Kaffeteria oder im feministischen Lager für "Haecksen" umtun, wenn sie
grademal nichts über XML, das neue Internetprotokoll IPv6, Ad Hoc
Systeme im mobilen Datenverkehr oder Format Strings, etc. lernen
wollten. 
Da Informationsguerillia im digitalen Datenbereich, wie ein Film
Emmanuell Goldsteins zeigte, in Amerika viel rigoroser behandelt wird,
als hierzulande, müssen die Algorthymen der kryptischen Verschlüsselung
von Daten, wie die Hackerorganisation Teso e.V. souverän demonstrierte,
bei der Vermittlung von Insiderwissen keineswegs so angewandt werden,
wie in Amerika. Denn die Revolution liegt jedem chaotischen Anspruch zum
Trotz im effizienten Vermitteln von Know-How, das heißt dem
Transparent-Machen von komplexen mathematisch codierten Systemen, die es
dann zu unterlaufen gilt. Viele der Mailinglisten kamen so erst im
Anschluß an die Diskussion im Experten-Foren zustande. Dort finden in
der Regel dann die eigentlichen Diskussionen statt, die im Folgenden
dann die weitere Entwicklungen klar mitbestimmen. 
Nun ist aber nicht jeder der KongressteilnehmerInnen ein Genius. Viele
begnügen sich damit, im Netzwerk Software zu suchen, zu kopieren und zu
verbreiten. Trotz allem tragen sie dennoch damit indirekt dazu bei, dass
auch in Zukunft Menschen im digitalen Überwachungstaat von morgen
Freiräume erhalten bleiben. 
Vorbei ist jedoch das sinnlose, verkappte Terroristentum der 70er Jahre,
bei dem es plump darum ging, seine Triebe auszuleben, Bomben zu legen,
Menschen zu entführen oder ähnlich Heftiges als Akt eines stillen
Bürgerprotestes auszuweisen. Hacker sind im Gegensatz zu Terroristen
smart, sie tragen in der Regel keine Parlestinenser-Tücher und werfen
auch nicht mit Molis. Sie akzeptieren nach Andy´s Erklärung im
FRITZ-Radio Menschen ganz gleich, wie sie aussehen und sind
darüberhinaus alles andere als fucking stupid. Ihre Systemkritik äußert
sich im Wesentlichen konstruktiv. Denn auch das Ausfindigmachen von
Sicherheitslöchern, ist und bleibt, wenn es jemand merkt ein Beitrag zur
Optimierung der Systeme. Dadurch ist Hacken eben vielleicht gerade
deswegen im hohen Grade unchaotisch, strukturell übersichtlich, also im
Sinne Kurzweils eben nicht konservativ.
Oder vielleicht auch nicht?
Die Zeichen der Zeit sind in alt-mathematischer Tradition in jeder Zeile
Code und in jeder Prozessorarchitektur klar vorgegeben. Ob sich darin
ein Mystizismus der Zahlen äußert oder alle möglichen Formen von
trojanischen Pferden des BND, BKA, Illuminatentum, New Economy oder wem
auch immer, im Wesentlichen tranportieren sie immer wieder eine ihrem
Wesen nach freimaurerische Grundidee. Es geht um die geistige Freiheit
von Rittern und Vruven im Datensturm.
Und dennoch bleibt die helle oder dunkele oder sonst wie geartete
Wahrheit eine Glaubensfrage. Im Brachland der mathematischen Abtraktion
gibt es jedoch Lichtblicke, die über ihren zeitlichen Rahmen im Chaos
apodiktisch hinausweisen. Ob ihre Opfer dann Musik- und Filmindustrie
heißen werden, um dann in ferner Zukunft in globale Computerspiele- oder
nur noch Softwareindustrie umgetauft zu werden, läßt sich vor dem
Horizont der Debatte um den Schutz des geisitgen Eigtentum in den
kommenden Jahren noch nicht sicher beantworten. Ausgeschlossen zu
bleiben scheint aber nach wie vor, daß man beim CCC jemals, auch wenn
man gerade darauf aus ist, die eigene Unkonventionalität immer
unkonventioneller auszutricksen, am Ende dann aus lauter
Unkonventionalität irgendwann mal in Hemd und Kragen herumlaufen wird. 
Welche New Economy Member jedoch alles im T-Shirt anreisten und was für
Scouts und Agenten da alles unterwegs waren, läßt sich nicht mit
eindeutiger Determiniertheit sagen. Nähere Auskunft erteilen da sicher
Metafiles zu den einzelnen Personen. Die fallen aber auch beim CCC unter
Datenschutz. Oder?  
Nun, wer weiß. Dazu hat wohl jeder seine eigene Verschwörungstheorie. Um
so sicherer scheint jedoch festzustehen, daß beim nächsten Kongreß des
CCC (3C18) wieder ein IT-Abkürzungsquizz stattfinden wird. Einige
führende Hacker der Szene machten sich nämlich den Spaß, das
Fach-Chinesich der Branche in einem mehr oder weniger lustigen Jeopardy
Spiel zu verulken. Ob dann jedoch jeder, um einmal zum richtigen Hacker
werden zu können, erst zum freudig spaßenden Quizz-Fetischisten mutieren
muß, bleibt fraglich und nicht gänzlich ausgeschlossen. Vielleicht wird
aus Europa ja mal irgendwann ein Staatenverbund oder Land der Rechner
und Hacker werden. Aber bevor das passiert, sollte noch darüber
nachgedacht werden, ob sich hier nicht doch vielmehr der Ruf nach einer
neuen Hochsprache Ausdruck verschafft hat, ähnlich wie es der Cyberguru
Jaron Lanier mit seiner Virtual Programming Language (VPL) bereits Mitte
der 80er Jahre wiederholt gefordert hatte... 
Lanier, der Chaot konnte sich jedoch damals nicht durchsetzen. Denn
Strukturen, die das Chaos konservieren (wie die französische Bürokratie
eines Großunternehmens wie Thomson) sind genauso konservativ, wie das
Chaos, das den Fortschritt behindert. Was am Ende das Ergebnis dieser im
Kongreß nicht thematisierten Fragestellung sein wird, kann man sich dann
zwar sicher irgendwann einmal interessenlos beschauen. Die Dynamik der
heutigen Entwicklung hat sich jedoch von allen Kants und Nachkantianern
verabschiedet und fordert die Motivierten und Hellsichtigen unter den
Hackern zu besonnenen Taten auf. Die basalen Grundlagen für die
kommenden Taten sind bei der Konferenz in Andeutungen erkennbar
geworden. Man darf also bis auf weiteres auf zukünftige Entwicklungen in
der internationalen Hacker-Szene gespannt bleiben.

Peter Krell

contact:
http://www.ccc.de/congress
FRITZ-Chaos-Radio-E-Mail
chaos@orb.de

(näheres zu Lanier in der nächsten Woche...)

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