Rotraut Pape on 4 Jan 2001 19:06:15 -0000 |
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Re: [rohrpost] fantastic voyages |
>>Am Wed, 03.Jan.2001 um 15:12:58 +0100 schrieb jutta franzen: >> hi, >> hat jemand die folgende sendung aufgezeichnet und koennte sie mir fuer eine >> kopie zur verfuegung stellen? >> \\\ 3sat, samstag, 30.12.00; 22:25, einfuehrungsfilm "fantastic voyages"? >Date: Wed, 3 Jan 2001 16:21:50 +0100 >From: Florian Cramer >Ja, leider aber nur in VHS-Mono-Qualität. >Ich fand es übrigens erstaunlich, wie wenig diese Sendung, die ja angeblich >eine Geschichte des Videoclips rekonstruieren soll, auf die Bezüge von >(frühen) Videoclips und Videokunst eingegangen ist; erstaunlich um so mehr, >als die Macher der "Fantastic Voyages" - u.a. Christopher Dreher, Ellen El >Malki, Gérard Couty - in den 80er Jahren bekannte Protagonisten von >Videokunstprojekten wie Infermental und Ponton/Van Gogh TV waren. Hallo Florian, hier ist Rotraut Pape. Du verwechselst Ellen El Malki mit mir, die mit Fantastic Voyages nichts zu tun hat. (Sie hat gerade mit Dreher einen Film über Sonic Youth fertiggestellt). Fantastic Voyages: Buch+Regie: Christoph Dreher, Realisation: Pape, Grafix: Couty, Produktion: PontonIM). Kleiner Flüchtigkeitsfehler, unwichtig. Eine andere kleine Flüchtigkeit ist allerdings wichtig: Fantastic Voyages sollte nie eine Geschichte des Videoclips rekonstruieren. Es heißt: Eine Kosmologie des Musikvideos, und so ist es auch gemeint. Es gibt 6 Folgen und einen Einführungsfilm (der lief am 30.12). Für die 6 thematischen Folgen hat Dreher jeweils 7-10 Clips ausgesucht, fast alle aus den letzten Jahren. Es geht um filmisch innovative Clips, Performance Clips sind - sicher zu deiner großen Erleichterung! - nicht dabei. Diese Zusammenstellung wurde pro Folge 1-2 SpezialistInnen zugeschickt, die sich dann - mehr oder weniger gut vorbereitet, vor laufender Kamera dazu äußern. Der Einführungsfilm ist eine Einführung in die Diskussion, ob bestimmte Clips (engl: musicpromo) ein neues Kurzfilmgenre etabliert haben und wie die kommerziellen Rahmenbedingungen sich zur Kreativität verhalten... Christophs erstes Drehbuch wurde von den verschiedenen Redaktionen akzeptiert, aber gleichzeitig ging überall das Brainstorming genauso los, wie grad bei dir: >Nam June Paik z.B. und sein Video "Global Groove" (1973) wurde mit keinem >Wort oder Bild erwähnt, ganz zu schweigen von experimentalfilmischen >Proto-Clips wie Peter Kubelkas "Adebar" (1956-57) und Kenneth Angers >"Scorpio Rising" (1963). Es fehlten aber auch frühe Popmusik-Videoclips z.B. >von Laurie Anderson, Devo und den Residents, die sowohl an einer formalen, >als auch einer historische Schwelle von 'klassischer' Videokunst und >MTV-Clip stehen. Ich glaube, Christoph hat das Buch zum Einführungsfilm 17 mal umschreiben müssen, bis alle lustigen Einfälle untergebracht waren und dadurch dann ein ungeheures Chaos entstanden war: Der erste Rohschnitt war 3 Std lang, ohne einen einzigen Clip, nur Gequatsche! Spätestens dann war allen Beteiligten klar, daß nicht alles, was einem so zum Thema einfällt, in diesen Film gehoert. Wir haben uns anschließend wieder ziemlich an das erste Buch angenähert. Zudem war das Projekt extrem niedrig kalkuliert, Clips sind Werbung und kosten also nichts. Archivmaterial von Paik und Filmrechte an alten Kultfilmen hätte die Produktion nie bezahlen können. An diversen Stellen in den Folgen, wenn solche Referenzen angesprochen werden, konnten wir höchstens mal ein Foto zeigen, wie du sehen wirst. (Natürlich kommt auch Paik vor und Fischinger und Vertow und Meliez, auch Jeffrey Shaw und Apollinaire und Goethe und die Residents sind natürlich auch dabei!) Die Kunst ist, wenn man fürs Fernsehen arbeitet, sich von all diesen lähmenden Umständen und stumpfen Erwartungshaltungen nicht bluffen zu lassen und trotzdem den Film zu machen, den man eigentlich machen will. >Stattdessen wurden andere 80er Jahre-Zombies wie Blixa Bargeld und Nick Cave . >interviewt und gesendet, wobei letzterer in Einklang mit seinem >Clip-Regisseur verkündete, das "Performance-Video" (sprich: das exaltierte >Playback-Posieren von Sängern und Musikern vor laufender Kamera) sei die >höchste Form der Clip-Kunst. Lass mich kurz erklären, warum ich finde, daß du ein ganz schlauer Fuchs bist. Der Film beginnt mit knappen Statements/Standpunkten zum Thema, auch gleich der Kernsatz von O. Karnik vorneweg: Musikpromos haben sich in den 90erJahren emanzipiert - neues Genre ... Dann geht es los mit MTV, Generierung von "Image" (Madonna, Grace Jones), künstlerische Techniken (Aha, Sledgehammer) Identität (morphing) Blue Box mit Rybcinski, eben auch ein Künstler, der in der kurzen Form des Clip eine Möglichkeit sieht, zu experimentieren. Hier reden wir über die frühen 80 er, wie du richtig bemerkt hast. Der Gegenpol Performanceclip wird angesprochen, mit Nick Cave als Wortführer, der sagt, er hasst Videos, hasst, sie zu sehen oder zu machen- und lustigerweise meint der alte Zombie genau das, was du sagst: dieses blöde Gefake, wieder und wieder so tun, als seis das erste Mal. Damit kommt Hillcoat ins Spiel, der konsequenterweise Cave und die Bad Seeds für einen Clip von einem Profi hypnotisieren lässt (sieht man alles im Clip), damit sie eine ordentliche Performance bringen!... ich könnte dir jetzt den restlichen Film hererzählen, aber sieh ihn dir doch einfach noch mal an (du hast ja ein VHS!) nicht in der Erwartung, eine Geschichte des Musikclips vorgekaut zu bekommen - lass dich auf den angebotenen Gedankengang ein, dann hast du bestimmt richtig Spaß an den nächsten Folgen (besonders an der Folge: Befreite Bilder, wenn ich dich + deine Vorlieben richtig einschätze) >Wenn es die Absicht der Sendung war, den Mythos vom Videoclip als witziger >und experimenteller Nische im durchformatierten Pop- und Fernsehmainstream >auf den Boden kommerzieller Tatsachen zurückzuholen, so ist ihr das >zumindest gelungen! Dieser Satz allerdings verdient eine Rüge, weil er so naiv ist. Musikpromos sind in den seltensten Fällen eine experimentelle Verbindung 2er Kunstformen, sondern die Verbindung 2er Märkte, eine Zweckgemeinschaft. die Absicht der Sendung ist, in diesem stinkigen, blubbernden MTV-Clip-Müllhaufen aus Avantgarde/Kulturgeschichte und Pop/Fernsehmainstream, wie er uns jeden Tag immer wieder neu aufgekocht und von der Industrie um die Ohren geschlagen wird, die Arbeiten zu finden und zu zeigen, die die experimentelle audiovisuelle Forschung überzeugend weiterentwickeln, o b w o h l sie auf dem Boden kommerzieller Tatsachen gewachsen sind! Also verpass keine Sendung, für so viel Information+Inspiration muß man im wahren Leben mindestens 6 Wochen durchgehend MTV gucken. Beste Grüße und schönes Neues Jahr (und sag mir, wie du "Befreite Bilder" fandst) Rotraut Rotraut Pape Leuschnerdamm 19 D-10999 Berlin Tel+Fax: +49 (0)30. 614 46 99 mobile: +49 (0)171. 54 11 207 Clemens-Schultz-Str. 94 D-20359 Hamburg Tel+Fax: +49 (0)40. 31 44 49 ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost