Anne Schreiber on 26 Dec 2000 21:57:58 -0000 |
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[rohrpost] Berliner Gazette, 27.12. |
Die Welt im Rueckspiegel oder: >>Das Jahr 2000 stand im Zeichen der Messen, bilanzieren wir es also durch den Filter DER Messe [1]- aber bitte mit Sahne...!<<. [ ] Review : Pit Schulz, Medienaktivist [2, 3] Der Schweizer Pavillon auf der Expo 2000 hat mir sehr gut gefallen, da er sich doch etwas absetzen konnte im postmodernen Parcours multikultureller Schnellimbisse. Trotz asiatischer Klang-Esoterik etwas zum Ausruhen und Nachdenken, Zen fuer Manager. Sonst performte die Expo bestens zwischen Volkshochschule, Dachverbandsleistungsshow, Gruener Woche und Ikea Center. Keine Frage, die Weltausstellung in Hannover war eindrucksvoll, aber vor allem in ihrer konsequenten Mittelmaessigkeit, ihrer urbanen Vision einer globalen Sim City von, sagen wir, Stuttgarter Format und all dem was Rem Kohlhaas als Junk-Space bezeichnet, jenem dazwischen kleinstaedtischer Fussgaengerzone und CAD-Masterplan. Schoenes Beispiel dieser neuen Unentschiedenheit war der deutsche Pavillon [4], der hat jedenfalls noch bleibenden Wert in seinem zeitlosen Glasbeton im Bausparkassencharme. Sicher gab es zwischendrin interessante Details, der laengst bekannte DaimlerChrysler Mit-Mach Parcours fuer angehende MIT-Lab Bewerber, waehrend die wirklich belanglos dummen Roboter, mit ihrem stupiden im Kreis Fahren als >>autonome Agenten der Interaktivitaet<< das Level von Billigspielzeug erreichten. Wer Robocup gesehen hat weiss, dass heutzutage mehr geht. Auch das IBM Historienspektakel oder die Siemensvorfuehrung konnten nicht recht im Gedaechtnis bleiben. Interessant auch das fast vollstaendige Versagen der Expo auf WWW-Ebene einen Ueberblick zu schaffen, was derzeit an der Schnittstelle von Technologie, Kultur und >>Mensch<< geboten wird. Besonders fuer internationale Besucher. Ich war selbst eine Woche vor Ort und konnte mir einen Blick hinter die Kulissen erlauben. Wirklich eine tolle Erfahrung! Auf jeden Fall sollte man dennoch die guten Seiten der Expo sehen. Als Jobmaschine gab sie allen moeglichen Mittelsmaennern und Hilfskraeften die Moeglichkeit mitzuverdienen und noch mal ihren Obulus hinzuzuaddieren. Die Eierinstallation von BBM [5] soll um die 8 Millionen Dollar gekostet haben - was fuer ein Geschaeft! Die Expoerfahrung war die der technokratisierten Absurditaet, die die Kluft zwischen einer alten Industrie und Arbeiterkultur von einer neuen Wissens- und Freizeitkultur durch volksfestartige >>Events<<, Schaubudenzauber und Erwachsenenfortbildung auf Vorschulniveau zu fuellen suchte. Absurd, weil in Wahrheit eben eine Elite von zynischen Wissensarbeitern und Konzeptlern versuchte, Volksverbloedung zum Geschaeft zu machen. Nichts wurde erklaert, sondern einfach zum regressiven Moment der Erfahrung degradiert. Was fatal ist in einer Gesellschaft der Information und Immaterialitaet. Repraesentation ja, aber was eigentlich? Kraftwerk sang bedeutungsschwanger: Mensch, Natur, Technik. Planet of Visions... Gut, das Wetter trug ein wenig Schuld an der Diffusitaet [6]. Viele Hilfskraefte wurden schon entlassen, einige Pavillons weigerten sich, ihren Strom zu zahlen. Das Hauptspiel der Gaeste auf der Expo, >>wo kann man billig am meissten essen und trinken?<<, wurde effektiv durch einige Fallen und Hindernisse erschwert. Tipp: Beim Portugiesen ab 00:00 Uhr. Auch der Mexikaner hatte sich wacker geschlagen und feierte jede Nacht eine rauschende Fiesta. Die amerikanischen Pavillons mit dem gelben >>M<< fanden sich gleich an mehreren Orten und gefielen immerhin durch moderat-globales Preisniveau und prompte Bedienung. Ein anderes Highlight: drei Stunden Schlange stehen beim Planet M. zur Multimedia Show der Bertelsmaenner samt globaler Internetvision. Hier kein Kommentar. Die Rede davon, dass die >Erfahrung< mehr zaehlt, als Wissen, das eben immer auch das Wissen um die kritische Positionen mit einschliesst, fuehrte zu solchen politischen Peinlichkeiten wie dem Original Volkswagen dessen Baujahr auf 1948 vordatiert wurde und unter dem >>Baum des Wissens<<, der Multimediashow im deutschen Pavillon, wohl neben Spacelab und Gutenbergpresse deutsche Wertarbeit symbolisieren sollte [7]. Fuer den AMD-Chip aus Dresden war die Deadline wohl zu frueh. 1. http://www.heise.de/tp/deutsch/special/expo/4144/1.html 2. mailto: pit@icf.de 3. http://www.klubradio.de 4. http://www.xposition.de/xposition.html?lang=1&rubrik=4&bericht=335&navsub=1017 5. http://www.bbm-ww.de 6. http://www.expo-watch.org/ 7. http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/22/06a.htm Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender aufzunehmen: So - 31.12 D i n n e r p a r t y : Wer den vollen Spass dieser Silvesterparty von Anfang an geniessen und sicher ins neue Jahr kommen moechte, der sollte sich rechtzeitig fuer das premium Paket entscheiden und via email anmelden. Fuer 25 DM heisst das dann von 21 Uhr bis 0 Uhr hotwired mexican food, eine wuerzige Mitternachtssuppe und free drinks. Fuer all diejenigen, die ihr Raclet anderswo verspeisen gibt es die economy-Variante: Nach Mitternacht 15 Minuten Outdoorlounge inklusive Welcomedrink fuer 5 DM. Mail an Mario@blinc.de und gib an, ob Du ein premium Paket ergattern moechtest oder ob guenstig feiern Deine Staerke ist. Ort: blinc_burnout...Gutleutstr 294, auf dem Milchsackgelaende, ab 21 Uhr oder 0 Uhr. C l u b : Der leiseste Club der Welt goes 2001. Das bedeutet 2000=leise, 2001=laut. Das Programm bis Mitternacht ist kleinkindkompatibel, die Welt gewinnt an magischer Diffusitaet, die jenseits der Adoleszenz verloren ging. Ab Mitternacht fliesst Champagner so lange der Vorrat reicht. HeyØ bedienen die Plattenteller, also besser als Prodigy. Ort: Edison Hoefe, Schlegelstraße 26-27, 10115 Berlin, http://www.sweet-silence.org, ab 21 Uhr. Die Nacht der Naechte kann man natuerlich auch zu Hause verbringen und seine Person wenigstens virtuell unter das Partyvolk mischen. Je nach Belieben begibt man sich bei Mobilesdisco als Pixeljunge oder Pixelmaedchen an die Bar. Schade nur, dass Mobilesdisco eine finnische Erfindung ist. Die neue Bekanntschaft kann man auf jeden Fall nicht in die Bar nach nebenan abschleppen... http://www.mobilesdisco.com Bis naechste Woche, Anne Schreiber mailto:anne.schreiber@student.hu-berlin.de PS: Fuer all diejenigen, die ihren Liebsten am Heiligen Abend lediglich einen feuchten Haendedruck ueberreichen konnten, moegen die elektronischen Arbeiten von 22 Kuenstlern eine letzte Rettung sein: Refresh ist eine virtuelle Installation von Screensavern, die erst nach einigen Minuten ihr wahres Gesicht zeigen. (1) Der Titel dieser Ausstellung leitet sich von der Refresh-Rate ab, der Basisfrequenz des Computers die zwischen 60 und 120 Herz liegt. Physikalisch konnte man die Installation im Herbst diesen Jahres an der Stanford University sehen (2). Diese Bildschirmschoner gibt es natuerlich fuer umsonst. Wer es traditionell mag, soll sich aben an einen Kunstdruck halten. (1) http://www.artmuseum.net (2) http://www.stanford.edu/dept/SUMA/ [ ] Impressum Berliner Gazette - das woechentliche Mini-Feuilleton im elektronischen Briefformat, wird von http://www.kulturserver.de herausgegeben [ ] Redaktion Berliner Gazette Penelope Grabowski Ulrike Rogler Anne Schreiber Krystian Woznicki (V.i.S.d.P.) [ ] An/Abmelden http://www.kulturserver.de/cgi-bin/newsletter -- in http://www.kulturserver.de, the online-community for regional art & culture ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost