Tilman Baumgaertel on 7 Sep 2000 19:27:02 -0000


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[rohrpost] Rhizome


...wobei ich mich immer frage, was aus Rachel Greene geworden ist. Die war
ploetzlich einfach weg, und bis auf einen Artikel in "Art Forum" ueber
Netzkunst hat man nie wieder was von ihr gehoert. Jetzt sind nur die Jungs
uebrig, wie immer...

Gruesse, 
Tilman

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FAZ, 6.9.2000, S.51

Die Sterndeuter von Silicon Alley
Das New Yorker Medien? und Netzkunstarchiv "Rhizome" leistet Pionierarbeit

NEW YORK, im September 
In der Mitte des New Yorker Times Square steht ein kleiner Pavillon, das
Rekrutierungsbüro des amerikanischen Militärs. Doch Uncle Sams bekannte
Aufforderung "Join the Army" wirkt heutzutage recht verloren inmitten der
übergroßen Reklamen, deren Mittelpunkt an einem börsenfreien Samstag die
betörende Multimediaschau auf dem Nasdaq?Bildschirm ist. Digitale
Farbkaskaden wollen die Passanten überwältigen und vom Anbruch eines neuen
Goldgräberzeitalters überzeugen. Die Claims, die zur Verteilung stehen,
heißen "dot?com". Die omnipräsente Werbung der neuen, oft von spekulativem
Kapital gemästeten Netzwerker läßt ahnen, welche Verteilungskämpfe sich
derzeit in der "Silicon Alley", der New Yorker Technologiemeile, abspielen.
Doch neben den späten Profiteuren gibt es die "Early True Believers", die
schon früh an das künstlerische und kulturelle Potential des Internet
jenseits von Kommerz und Kapital glaubten. Einer von ihnen ist Mark Tribe,
32, Absolvent der Eliteuniversität Brown. Statt eine seriöse Karriere in
der Wirtschaft anzustreben, wich er an die San Diego Art School aus. Ein
Studienjahr in Berlin brachte ihn 1995 mit der dortigen Netzgemeinde, mit
deren Diskussionen und Anliegen ? das Netz nicht kampflos dem Kommerz zu
überlassen, sondern für Kunst und kritische Diskurse zu nutzen ? in
Berührung. Zurück in New York, gründete Mark Tribe 1996 "Rhizome"
(www.rhizome.org), eine Plattform und ein Archiv für die sich entwickelnde
neue Medienkunstszene.
Heute, keine fünf Jahre später, zählt "Rhizome.org" ? nicht ".com"
wohlgemerkt, das Unternehmen hat den Status einer Non?profit?Organisation
und erhält staatliche Fördermittel ? zu den lebendigsten und
durchdachtesten Projekten in diesem Bereich. Wer einen Einstieg nicht nur
in die Internetkunst, sondern auch in die kulturpolitischen Debatten rund
um das neue Medium sucht, ist hier richtig. Richtiger und aus
Anciennitätsgründen berufener ist nur noch das seit 1991 existierende
Projekt "The Thing" des deutschen Künstlers Wolfgang Staehle. "The Thing"
(www.thing.net) sei, das gestehen die "Rhizome"?Leute sofort ein,
"flashier", schärfer, schicker. Aber es wirkt im Vergleich auch elitärer
und hermetischer.
Was die "Rhizome"?Seite mit ihrem wohlorganisierten Archiv so bemerkenswert
macht, ist ihre, gemessen an der rapiden Entwicklung des Internet,
beachtliche historische Tiefenschärfe und ihre Verankerung in der "Szene",
die das Projekt unterstützt, indem sie es mit (Gratis?)Beiträgen beliefert.
Dafür ist den Mitarbeitern die Aufmerksamkeit eines spezifisch
interessierten Publikums gewiß, und diese läßt sich in der
Kommunikationsgesellschaft unter Garantie früher oder später ummünzen.
Die "Szene", das sind Netzkünstler, Kuratoren für neue Medien, die in
Amerika inzwischen vielerorts auch an traditionellen Häusern ihren Platz
gefunden haben, Kritiker, Universitätslehrer, Webdesigner. Die Liste der
internationalen Berater liest sich wie ein Who´s Who der Internet
Avantgarde. Namentlich zu den Medieninstituten von Berkeley und zum
Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston hat "Rhizome" einen
guten Draht, ebenfalls zu den Star?Webdesignern von "Razorfish". Zum Archiv
gehört eine "Artbase". Per Link vermittelt sie den Zugang zu mehr als
siebzig Netzkunstwerken, die sorgfältig katalogisiert und verzettelt sind.
Darunter finden sich zahlreiche Klassiker des Genres, nie Mark Amerikas
"Grammatron", Simon Biggs "Great Wall of China", Eva Grubingers
"Netzbikini", der "Webstalker" von I/0/D oder "OSS" von Joch. Des weiteren
gibt es ein Textarchiv mit rund 1500 Text zur Netz? und Medienkunst, die
anderweitig nicht mehr oder nur schwer zugänglich sind. Daß "Rhizome" auf
diese Weise den Diskurs kontrolliert oder zumindest kanalisiert, ist die
Kehrseite.
Aus dem Stichwortverzeichnis des Katalogs haben Tribe und sein Partner Alex
Galloway eine reizvolle interaktive Wehsite namens "Starrynight" gemacht.
Auf dem Bildschirm erscheint eine Art Sternkarte. Fährt man mit der Maus
über die Sterne, werden Stichwortlisten sichtbar. Klickt man diese
Pop?up?Menüs an, landet man bei zugehörigen Texten und passenden Links. Je
häufiger ein "Stern" angeklickt wurde, desto heller leuchtet er. Das
erlaubt Rückschlüsse auf die Interessen der Benutzer. Stichwörter wie
"Public Space/Privacy", "Design" oder " Media Activism" erweisen sich als
besonders beliebt. Mit dieser ästhetisch und konzeptuell raffinierten
Navigationsoberfläche erweisen Tribe und Galloway sich auch als Pioniere in
Sachen Webdesign. Seit kurzem gibt es zusätzlich die "Spirale", die das
Textarchiv chronologisch erschließt.
Als Subskribent des kostenlosen "Rhizome Digest" ? der ungefilterte
Newsletter "Rhizome Raw" ist eher eine Zumutung ? erhält man wöchentlich
von Alex Galloway edierte Informationen zu aktuellen Diskussionen,
Besprechungen oder Vorabdrucke wissenschaftlicher Beiträge, Hinweise auf
neue Internetarbeiten oder auf Veranstaltungen, die Rhizome organisiert.
Denn Tribe und seine vier Mitarbeiter, darunter die Kuratorin für
Medienkunst Jennifer Crowe und die fürs Fundraising zuständige Mary Beth
Smalley, haben schnell gemerkt, daß auch die virtuelle Welt besser zu
vermitteln ist, wenn sie an eine Realität angebunden wird.
All diese Dienstleistungen sind gratis. "Rhizome.org" hat seine prekäre
finanzielle Situation jüngst erheblich verbessern können. Trendbewußte
Unternehmen von American Express bis zur Barbara Gladstone Gallery
schmücken sich inzwischen gerne mit dem Status des finanziellen
"Supporters" eines so innovativen wie erfolgreichen Projekts. Daß Tribe
einen Fundraising?Profi als Entwicklungsleiterin angestellt hat, spricht
Bände. Das wichtigste Thema in den aktuellen Diskussionen der Netzgemeinde
ist für ihn denn auch der Übergang von einer marginalen Kunstform, die auf
Tauschwirtschaft und Gratisarbeit beruht, zu einer anerkannten
Kunstbewegung, die auf breiter Ebene von etablierten Institutionen und
Geldgebern akzeptiert wird.
"Wie können wir auf möglichst produktive Art Museen, Galerien, Stiftungen
und Unternehmen gewinnen, ohne Abstriche an unseren ursprünglichen
Überzeugungen hinzunehmen?" Tribe ist nicht der einzige aus der frühen
Netzgemeinde, der sich derzeit darüber den Kopf zerbricht. Auch die
Gratisarbeit vieler Zulieferer könnte von dem Moment an Attraktivität
verlieren, in dem das einstige Untergrund-Genre institutionalisiert wird
und sie ihr Ziel, nämlich Aufmerksamkeit auf sich und ihre Arbeit zu
lenken, erreicht haben.

Die Aufmerksamkeit, die "Rhizome" mit durchschnittlich 600 000 Besuchern
pro Monat auf sich zieht, läßt manche Begehrlichkeiten entstehen. Haben
Projekte wie "Rhizome" in einer kommerzialisierten Internetlandschaft
überhaupt Zukunft? "Zur Zeit empfinde ich die Dotcoms keineswegs als
Bedrohung, sondern eher als Partner und Förderer", meint Tribe. Das
einigende Band ist neben einer unerschütterlichen Technologiegläubigkeit
Tribes Überzeugung, daß "Internetkunst heute die wichtigste Kunstform ist,
die gerade erst in ihren Anfängen steckt". Man muß seine Euphorie nicht
teilen, um seine visionäre Arbeit zu schätzen.		
BARBARA BASTING



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