florian schneider on Mon, 19 Jun 2000 11:19:19 +0200 (CEST)


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

Re: [rohrpost] Re: Wortbeitrag auf der Lufthansa-Hauptversammlung




> Alvar fragt: "Wie haben die Leute denn reagiert bzw. nehmen
> sie das ernst?"
> 
> Mein Sitznachbar, ein altgedienter Aktionaer, meinte: "Was
> Sie gesagt haben, hat hier jeder verstanden."
> 
> Mein Beitrag war nur eine Facette in einem ganzen Spektrum.
> Das Thema hat die Hauptversammlung beherrscht. Im Lauf
> der Woche kommt ein ausfuehrlicher Telepolis-Artikel.



From: "AG3F" <AG3F@oln.comlink.apc.org> 

Hallo,

hier ein erster, in aller Eile geschriebender Bericht über die
LH-Aktionärsversammlung (für SWING - autonomes Rhein-Main-Info):

---

http://www.deportation-alliance.com


Turbulenzen bei der Kranich-Linie - 
deportation class stop! im Aufschwung 
Bericht von der Lufthansa-Aktionärsversammlung in Berlin

Als gelungenen vorläufigen Höhepunkt der Kampagne "deportation class
stop! - gegen Abschiebungen mit der Lufthansa" konnte kein mensch ist
illegal die Aktionärsversammlung der Lufthansa AG im Berliner
Kongresszentrum ICC gestalten.

Bereits vor dem Eingang wurden die AktionärInnen von einer Gruppe
"FlugbegleiterInnen" in blauen Kostümen und Anzügen empfangen, die das
Thema Abschiebung mittels einer anschaulich dargestellten
Passagierfesselung à la BGS präsentierten.

Im Saal selbst saßen die adrett gekleideten AktivistInnen in den
vordersten Reihen der lt. Presseangaben 4.000 (aber tatsächlich wohl
eher halb so viel) AktionärInnen, indes der zahlreich vertretene
Sicherheitsdienst nach verdächtig aussehenden "StudentInnen" Ausschau
hielt.

So war die Überraschung groß, als plötzlich während der Rede des
Aufsichtsratsvorsitzenden dem auf dem Podium versammelten Vorstand und
Aufsichtsrat von Lufthansa mehrere Transparente vor die Nase gehalten
wurden, mit denen an die in Lufthansa-Maschinen getöteten Kola Bankole
und Aamir Ageeb erinnert und ein Stopp der Abschiebungen gefordert
wurde.

Nach diesem ersten Event mit lautstarken Parolen der AktivistInnen,
vielstimmigem Gepöbel von Otto & Ottilie NormalreaktionärIn und
augenbetäubendem Presse-Blitzlichtgewitter kehrte zunächst trügerische
Ruhe ein, bis Jürgen Weber, LH-Vorstandsvorsitzender und als solcher
bereits im Frühjahr Ziel einer Farbattacke von AntirassistInnen, seine
Rechenschaftsrede begann. Nach wenigen Minuten wurde auch er
unterbrochen von einer zweiten "Welle" von Transparenten, deren
HalterInnen diesmal etwas schneller vom äußerst nervösen
Sicherheitsdienst zum Ausgang expediert wurden.

Jedoch war dies noch lange nicht das Ende des Themas deportation.class,
denn in den folgenden Frage- & Antwortstunden meldeten sich noch
mehrfach weitere AktivistInnen von kein mensch ist illegal zu Wort, und
auch andere RednerInnen griffen das Thema auf oder brachten andere
unangenehme Themen zur Sprache wie die Ausbeutung von
ZwangsarbeiterInnen während der Nazi-Zeit und die geplante Erweiterung
des Frankfurter Flughafens.

Während einem Sprecher von kmii kurzerhand das Mikro abgedreht wurde und
er unter anhaltendem Applaus des AktionärInnenmobs vorübergehend des
Saales verwiesen wurde, konnte eine weitere Rednerin dem LH-Vorstand in
aller Ruhe nachweisen, daß es eine Beförderungspflicht für deportees,
wie immer behauptet, nicht gebe und Lufthansa Abschiebungen schon aus
ethischen Gründen ablehnen könne. Was für tropische Ziervögel gelte,
deren Transport LH nicht mehr durchführe, müsse umsomehr auch auf
Menschen angewandt werden! Und auch die wiederholt von Lufthansa in
Presseerklärungen sowie auf der Aktionärsversammlung verbreitete
Behauptung, bereits seit 1999 würden "Schüblinge" nicht mehr gegen ihren
Widerstand abgeschoben, wurde als Schutzbehauptung enttarnt, mit einem
Gegenbeweis ebenso wie mit der Tatsache, daß es eine entsprechende
Anweisung an die LH-Flugzeugführer nicht gibt.

Aus einer ganz anderen Richtung argumentierte ein Internetforscher aus
Konstanz, welcher der gebannt lauschenden Versammlung darlegte, welche
Verluste dem Konzern und seinen AktionärInnen daraus entstehen könnte,
wenn die Kampagne zur Schädigung des Lufthansa-Image sich unkalkulierbar
in die Dimensionen des Internet ausweitete. Als Beispiel führte er den
Kampf der Internet-Künstlergruppe eToy gegen den Spielwarenkonzern eToys
an. Letzterer gewann in einem Streit um die Namensgebung zwar vor den
Gerichten, wurde dann jedoch mittels einer Internetkampagne mit vielen
Beteiligten zum Rückzug gezwungen. Der Wertverlust an der Börse betrug
schließlich 5 Milliarden, wo hingegen das Eigenkapital der Lufthansa von
50 Millionen DM doch etwas lächerlich wirkt. Das beeindruckte große wie
kleine AktionärInnen offenbar sehr, die diesmal noch mit 1,10 DM
Dividende pro Aktie beglückt werden konnten.

Alles in allem wurde - mithilfe auch des Dachverbandes der kritischen
AktionärInnen, welcher kein mensch ist illegal den Zutritt zur
Aktionärsversammlung ermöglichte - dafür gesorgt, daß die Lufthansa nach
den Aktionen auf Flughäfen und diversen LH-Institutionen auch bei diesem
immerhin 3 Millionen teuren Heimspiel vom Thema deportation.class nicht
mehr loskam. Erreicht wurde auch das vom Vorstandsvorsitzender Jürgen
Weber erstmals presseöffentlich gemachte Statement, Lufthansa stehe in
Verhandlungen mit dem Bundesinnenministerium mit dem Ziel, sich völlig
aus dem Geschäft mit Abschiebungen zurückzuziehen.

Um Lufthansa bei diesen schwierigen Verhandlungen nachhaltige
Unterstützung zu geben, beschloß die tags darauf stattfindende
Versammlung der kmii-AktivistInnen, die Beziehungen zum Konzern durch
weitere Auftritte und Besuche bei Lufthansa zu festigen. Ein Highlight
könnte z.B. der Besuch des bisher wenig frequentierten LH-Standes auf
der EXPO werden.

Um die viefältigen Möglichkeiten des Internet zur Ausweitung der
Kampagne "deportation class stop!" zu diskutieren, wurde ein
öffentliches Forum auf den Webseiten beschlossen (Adresse siehe unten).

Da Lufthansa nicht die einzige Fluggesellschaft ist, mit der
Abschiebungen durchgeführt werden, sind alle LeserInnen auch der Swing
aufgefordert, kein mensch ist illegal bei einer Recherche zu helfen, mit
der wir weitere und genauere Informationen über Abschiebegesellschaften
sammeln wollen, um gegebenfalls die Kampagne gezielt auszuweiten.

Näheres dazu demnächst auf den Webseiten und in dieser Zeitung. Schaut
mal rein: http://www.deportation-alliance.com/lh

Kontakt für Rhein-Main: deportation.class stop!, 
c/o AG3F, Metzgerstr. 8, 63450 Hanau - Tel./Fax: 06181-184892 - 
Email: AG3F@oln.comlink.apc.org

Hinweise: Die Plakatausstellung zur deportation.class ist ebenfalls im
Internet veröffentlicht: 

http://www.stadtrevue.de/kmii/frame/pla00.htm 

In der aktuellen ak - Analyse & Kritik kann eine Zwischenbilanz der
Kampagne gelesen werden: 

http://www.akweb.de/ak_s/ak439/11.htm 

Die Aktion zum Todestag Aamir Ageebs am 27. Mai auf dem Frankfurter
Flughafen dokumentiert Pro Asyl auf seinen Webseiten: 

http://www.proasyl.de/serien/flughafen/rahmen.htm

----------------------------------------------------------
# rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur
# Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost
# kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen
# Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost
# Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost