florian schneider on Wed, 23 Feb 2000 23:55:19 +0100 (CET)


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[rohrpost] schlamassel


Computerindustrie verlangt ausländische Arbeitskräfte
Doch eine Modernisierung der Einwanderungspolitik 
ist für die Politik tabu. 

http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/5829/1.html

Da haben wir nun den Schlamassel: Mehr als zehn Jahre lang
wurde von allen Seiten behauptet, Deutschland können nun
beim besten Willen keine zusätzlichen Einwanderer mehr
aufnehmen, das Boot sei voll, und die Schmerzgrenze endültig
erreicht. Wer widersprach, war Gutmensch oder zumindest
hoffnungslos realitätsfern. Da platzt auf einmal eine
Meldung von der CEBIT herein, daß führende Repräsentanten
der Computer-Branche ernsthaft vorhaben, mit dem völkischen
Konsens der 90er Jahre zu brechen: Wenn nicht in den
nächsten beiden Jahren zumindest eine Viertelmillion
Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werden würden, sei
es um die Chancen auf den vielbesungenen Zukunftsmärkten
schlecht bestellt. Der Deutschland-Chef von Hewlett-Packard,
Jörg Menno Harms, forderte laut Computermagazin c't gar die
Bundesregierung auf, so schnell wie möglich 30.000 Visa
auszustellen. 

Nein, wir haben uns nicht verhört: Einem Heer von vier
Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen steht ein
mittlerweile dramatischer und sich wohl weiter
verschärfender Mangel an Fachkräften für die Informations-
und Kommunikations-Technologien gegenüber. Die Branche boomt
und ausgerechnet dort ist die Zahl der Studienabgänger
gemessen an der Nachfrage lächerlich. Wer einigermassen
Erfahrung in Netzwerkadministration oder Kenntnisse im
Programmieren vorweisen kann, scheint heute praktisch in der
Lage zu sein, sein Gehalt selbst festlegen zu können. Eine
entscheidende Sache aber muß hinzukommen: der deutsche Paß
oder der Besitz einer gültigen Arbeits- und
Aufenthaltserlaubnis. 

Mit dem Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer nach der
Ölkrise der 70er Jahre haben die gesetzlichen Bestimmungen
Neubeschäftigungen von nicht in Deutschland ansässigen
Arbeitskräften tendenziell zu einem Ding der Unmöglichkeit
gemacht. Während sich die Parteienvertreter an Wahlsonntagen
scheinheilig vor der Demagogie der rechtsradikalen Parteien
ekeln oder mit dem Finger auf eine kleine Alpenrepublik
zeigen, haben Gesetzgeber von Schily bis Stoiber die
häßliche Parole der Neonazis längst wahr gemacht:
"Arbeitsplätze nur für Deutsche!" 

So muß auch die Reaktion des Arbeitsministeriums verstanden
werden, das auf die konkreten Forderungen der Industrie mit
dem vagen Hinweis auf das "Inland" kontert. So müssen auch
die Gewerkschaften verstanden werden, die dem Hilferuf der
Arbeitgeber - wohl wissend um die verschobene Mentalität
eines Großteils ihrer Mitgliederschaft - ziemlich unterkühlt
begegnen. Die Gesetzeslage jedenfalls spricht eine
unmißverständliche Sprache: Die
"Anwerbestoppausnahmeverordnung" sieht kaum Ausnahmen vor
und wird derart restriktiv gehandhabt, daß Arbeitgeber aller
Wachstumsbranchen bereits seit Jahren still vor sich hin
jammern. 

Für Arbeitsverhältnisse mit Ausländern, die keine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben, gilt die
"Arbeitserlaubnispflicht", die einen Vermittlungsauftrag an
das Arbeitsamt voraussetzt und Arbeitgeber wie Arbeitnehmer 
zur Mitwirkung bei den Bemühungen des Arbeitsamtes
verpflichtet, innerhalb von mindestens vier Wochen
vielleicht nicht doch noch einen bevorrechtigten "deutschen"
Arbeitssuchenden ausfindig zu machen. Zuvor aber muß eine
Aufenthaltserlaubnis her, welche wiederum nur in Verbindung
mit einer Arbeitserlaubnis erteilt wird. Ein Teufelskreis
also, zumal es um die Fachkenntnis der meisten
Sachbearbeiter weit weniger gut bestellt als um deren
ideologische Festigkeit, wenn es gilt, das Vaterland vor der
Ausländerschwemme zu schützen. Personalchefs von
international operierenden Großkonzernen kriegen da schon
mal zu hören, den fernöstlichen Markt für Mobilfunknetze zu
erobern, könne im Prinzip auch von deutschen
Sinologie-Studenten erledigt werden, schließlich bedürfe es
in erster Linie der richtigen Sprachkenntnisse. Oder ein
dunkelhäutige Videotechniker, der offiziell als Barkeeper
eingestellt werden muss, weil die Behörden offenbar nur mit
einschlägigen Klischees keine Probleme haben.

Vorrang hat eben das deutsche Blut, und angesichts solcher,
nennen wir es mal: Provinzialität ist es nachvollziehbar,
daß nun ausgerechnet diejenige Branche nicht länger mit der
Hand vor dem Mund halten will, welche dem internationalen
Wettbewerb am stärksten ausgesetzt ist und für die
nationalstaatliche Grenzen nun wirklich keine
ernstzunehmende Rolle mehr spielen, sobald es ums Geschäft
geht. Man muß nicht viel vom Kapitalismus begriffen haben,
um zu verstehen, daß Unternehmer schärfsten Wert legen auf
gewisse Wahlmöglichkeiten bezüglich ihrer Mitarbeiterschaft
(muß ja nicht gleich Reservearmee genannt werden) und sich
schon gar nicht gern vorschreiben lassen wollen, wen sie zu
beschäftigen haben und wen nicht. Es sei denn die
inländische Arbeitskraft ist an anderen Fronten beschäftigt
und fremdländische wird ihnen gratis angeboten - doch so
weit sind wir nun wirklich noch nicht wieder.

Einstweilen dürfen Ideologen und Demagogen aller Couleur
weiterhin jeden Gedanken tabuisieren und mit Denkverbot
belegen, der eine Humanisierung und Modernisierung der
Einwanderungspolitik durch die eigentlich überfällige
Angleichung der Arbeitnehmerrechte an die schrankenlose
Freizügigkeit des Kapitals auch nur andeutet. Daß an derlei
Träumereien vielleicht mehr dran sein könnte als am kaum
verhohlenen, rassistischen Populismus, dürfte spätestens mit
der Dingfestmachung der organisierten Kriminalität zwischen
Bad Homburg und Oggersheim aufgefallen sein. Oder es handelt
es sich beim Klagelied der Computermanager wiederum nur um
einen kleinen Teil der berüchtigten Internet-Verschwörung,
die die österreichische Regierung zur Zeit so gerne für den
sie ereilenden Mangel an internationalem Zuspruch
verantwortlich macht? Wundern würde es nicht mehr.

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