Andreas Broeckmann on Tue, 22 Feb 2000 00:48:04 +0100 (CET)


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[rohrpost] Vorkommnisse in Wien am 19.02.2000


Date: Sun, 20 Feb 2000 17:56:46 +0100
From: lizvlx <liz@ubermorgen.org>

From: Titus Stahl <tstahl@jugendpolitik.de>
Sent: Sunday, February 20, 2000 1:40 PM



P R E S S E E R K L Ä R U N G


Die PDS-Hochschulgruppe Tübingen, die Linke StudentInnen-Assoziation
(LiSta) Tübingen, Titus Stahl, Mitglied des PDS-Landesvorstandes
Baden-Württemberg:

"Bei der Teilnahme von jungen Linken aus Tübingen an den Protesten
gegen die FPÖ-ÖVP-Koalition in Wien kam es zu einem Überfall eines
Sondereinsatzkommandos "COBRA" der österreichischen Bundespolizei auf
>vier Menschen.
Nach Auskunft der Beteiligten, wurden sie im Vorfeld der
Demonstration - ohne irgendeinen Anlass dazu zu geben - von der
Einheit abgefangen, in einen Hausflur gezerrt dort verprügelt,
beschimpft und unter Anwendung von Schlägen und Tritten verhört. Die
Kleidung, die Handy, die Handy-SIM-Karten, Uhren und andere
Wertgegenstände der Opfer wurden systematisch und ohne Ausnahme
zerstört. Der Sachschaden liegt weit im vierstelligen Bereich.
Nachdem die Sondereinheit sie ungewöhlich lange bearbeitet hatte, sie
fotografiert hatte, wurden ihnen die Schuhe, Unterlagen über die
Demonstration und verschiedene andere Gegenstände weggenommen und
ihnen angedroht, wenn man sie irgendwo finden würde, würden sie
verhaftet und sie könnten sich ausmalen, was dann mit ihnen geschehe.
Dieser Vorfall war offenkundig illegal, reiht sich ein die Geschichte
der Menschenrechtsverletzungen in Österreich und wirft ein Licht auf
>die neuen "freiheitlichen" Verhältnisse in Österreich. 
Deshalb erklären die beteiligten Gruppen: Der rechtsextreme und
menschenfeindliche Charakter der FPÖÖVP-Politik muss weiter publik
gemacht werden. Vorfälle wie dieser strafen die Regierungspropaganda
in Österreich (Zitat ÖRF: "Die Polizei musste lediglich einige
aufgebrachte Demonstranten beschwichtigen") Lügen. Linke in
Österreich werden weiterhin auf die Solidarität der internationalen
antifaschistischen Bewegung zählen können.
Nazis bekämpfen - überall - gemeinsam - auf allen Ebenen - mit allen
Mitteln!"

Titus Stahl
Mitglied des Landesvorstandes der PDS-Baden-Württemberg


Gedächtnisprotokoll der Ereignisse am 19.02.2000 in Wien


Im folgenden will ich die Ereignisse aus meiner Sicht beschreiben.
Den anderen beteiligten Personen ist jedoch in Prinzip das selbe
widerfahren.

Die PDS-Hochschulgruppe Tübingen beteiligte sich an der
Großdemonstration gegen die FPÖ/ÖVP-Regierung am 19.02.2000 in Wien
mit zwei PKW und insgesamt 10 Personen.

Vor dem Start der Demonstration um 14.00 am Westbahnhof gingen um ca.
13.30 vier von uns zu unserem Auto welches in der Nähe des
Westbahnhofes vor dem Haus Löhrgasse 5 geparkt war, um etwas zu essen
und noch ein paar Sachen für die Demo zu holen.

Als wir uns ca. um 13.40 wieder auf den Weg zurück zum Westbahnhof
>machten, waren wir nur wenige Meter weit gekommen, als neben uns ein
Mannschaftswagen der Bundespolizei mit angeschaltetem Blaulicht
hielt. Die Nummer des Wagens lautete BP 800.

Heraus sprangen sechs oder sieben Polizisten in schwarzen Uniformen,
Hartschalen-Panzerung und schwarzen Barretts. Wir erfuhren im
nachhinein, daß es sich um eine sogenannte "COBRA"-Einheit handelte.

Wir wurden gepackt und an die Wand gestellt, unsere Beine wurden mit
brutaler Gewalt auseinandergetreten. Ein Polizist nahm einen
Umhängebeutel, den ich mir durch meine Gürtelschlaufen gezogen hatte
und riß ihn so ab, daß alle Gürtelschlaufen dabei zerstört wurden.

Ich beschwerte mich und meinte, daß der Beutel auch einen Verschluß
gehabt habe. Daraufhin brüllte er mich an, daß ich ruhig sein solle,
packte meinen Kopf an den Haaren und schlug ihn gegen die Steinmauer.
Spätestens jetzt war mir klar, daß es sich hierbei nicht um eine
Routinekontrolle handelte.

Jetzt fing er an, alle Taschen meiner Hose, auf- bzw. abzureißen
unabhängig davon, ob diese einen Inhalt hatten oder nicht. Wo es ihm
nicht sofort gelang, probierte er solange herum, bis er sie zerstört
hatte.

Nun öffneten die Polizisten die Tür eines nahegelegenen
Hausdurchgangs und drängten uns hinein mit der Bemerkung, dort
drinnen könnten sie uns besser behandeln. Als wir drinnen war,
verschlossen sie die Tür so daß niemand von außen sehen konnte.

Die folgenden Ereignisse dauerten ca. 20 Minuten. Während der ganzen
Zeit wurden wir immer wieder geschlagen, an den Haaren gezogen,
zwischen die Beine getreten und unsere Finger überdehnt.

Wir mussten die ganze Zeit mit  gespreizten Armen und Beinen an der
Wand stehen. Wer nicht auf die Wand schaute, wurde geschlagen.

Nun ging einer der Polizisten herum und brüllte uns an, was wir denn
hier wollen würden. Einer von uns antwortete, wir wollten gegen die
Regierungsbeteiligung der FPÖ demonstrieren.

Daraufhin packte einer der Polizisten mich, zog meinen Kopf an den
Haaren nach hinten und brüllte mich an: Er wisse genau, wir seien
Anarchisten aus dem Ausland, wir wollten sie verleumden, sie seien
keine Nazis, das wäre eine Lüge, wir würden Lügen verbreiten. Wir
wären keine Österreicher, dies sei nicht unser Land und wir hätten
hier nichts zu suchen. Wir sollten hier auf der Stelle verschwinden.

Nun wollten die Polizisten wissen, woher wir kämen, ob wir über das
Internet organisiert seien, ob wir Kontakte zu anderen Gruppen
hätten, ob wir alleine gekommen seien, wo wir übernachten würden,
usw. Wer nicht sofort antwortete wurde geschlagen.

Aus unseren Sachen die mittlerweile auf dem ganzen Boden zerstreut
waren, suchten sie alle Schlüssel heraus und wollten wissen, welcher
wem gehört, anscheinend um herauszufinden, ob wir alleine wären.

Sie durchwühlten auch unsere Unterlagen mit der Bemerkung "Die wissen
alles aus dem Internet, die haben alles". Sie nahmen alle Unterlagen,
aus denen Telefonnummern etc. ersichtlich waren, mit.

Sie nahmen das Handy von einem von uns und fanden die Nummer des
Infotelefons gespeichert,  sie fragten was dies für eine Nummer sei
und wofür wir die brauchten. Dann bearbeiteten sie den Besitzer des
Handys mit der Frage, was das Codewort sei, das man da sagen müsse.

Daraufhin nahmen sie die SIM-Karten aus allen Handys und zerkratzten
sie an der Wand. Zusätzlich wurden die Handys auf den Boden geworfen
und darauf herumgetreten, bis die Schale zertrümmert war.

Auch meine Uhr wurde vom Handgelenk abgerissen und zerstört. Die
Weste eines meiner Freunde wurde komplett in Fetzen gerissen.

Nun brüllten sie jeden von uns einzeln an, was wir nun machen würden,
bis er antwortete: Heimfahren. Sie wollten ausserdem wissen, über
welchen Grenzübergang wir gekommen seien, und welche anderen Gruppen
aus Deutschland noch da seien und ob wir "Wessis" oder "Ossis" seien,
wahrscheinlich weil im Personalausweis von einem von uns Magdeburg
als Hauptwohnsitz angegeben war.

Nun gaben sie ausserdem unsere Personalien per Funk vor der Tür durch
und durchwühlten unser Auto komplett, wobei sie noch einige
Gegenstände mitnahmen. Dann wurde ein Fotograf in Zivil
hereingerufen, der von uns Portraitaufnahmen machte. Uns wurde
gesagt, die Bilder würden an das BKA weitergegeben. Einer von uns
wurde unter höhnischem Gelächter der Polizisten dazu gezwungen, in
die Kamera zu lächeln.

Nun mussten wir uns wieder nebeneinander an die Wand stellen und
unsere Schuhe ausziehen. Diese wurden mitgenommen. Daraufhin erklärte
einer der Polizisten: Jeder Polizist könne uns daran erkennen, daß
wir keine Schuhe hätten, wir sollten nicht wagen auf die Demo zu
gehen, wenn wir dies doch tun würden, gelten wir automatisch als
verhaftet und wir könnten uns ausdenken, was dann mit uns passiert.
Ausserdem hätten wir in Zukunft in Österreich nichts mehr zu suchen.

Unsere Schuhe könnten wir uns an der letzten Tankstelle vor der
Autobahn abholen. (Dort kamen sie natürlich nie an). Daraufhin
verließen die Polizisten den Hausflur, schlossen die Tür und fuhren
davon.

Wir verließen daraufhin die Innenstadt schnellstmöglich, an einer
Telefonzelle wandten wir uns an das Rechtshilfetelefon. Dies riet
uns, auf keinen Fall Kontakt mit der Polizei aufzunehmen oder dieser
unseren Standort zu verraten. Ausserdem sollten wir nicht nach
Deutschland zurückkehren, sondern uns erst einmal in Wien verbergen,
da man uns wahrscheinlich an den Grenzübergängen schon erwarte.
Daraufhin wandten wir uns an die deutsche Botschaft. Der Mitarbeiter
dort meinte, nun ja, dies seien eben die österreichischen Gesetze und
wir sollten uns doch am Montag nochmals melden, wenn die Botschaft
wieder geöffnet sei.

Zu unserem Glück trafen wir per Zufall an der Tankstelle den Vater
eine Journalistin, der den Kontakt zu ihr herstellte. Sie versorgte
uns freundlicherweise wenigstens mit Socken und gab uns ihre Karte
mit, mit der Bemerkung, Kontakte zur Presse  würden die Polizei
normalerweise einschüchtern, so daß wir es wagen könnten, die Grenze
zu übertreten.

Es ist davon auszugehen, daß auch noch andere TeilnehmerInnen der
Demonstration diese Vorgehensweise erlebt haben und dies einen
kleinen Vorgeschmack auf zukünftige "freiheitliche" Verhältnisse in
Österreich bieten soll. Bürgerliche Rechte werden da wohl nicht mehr
das Papier wert sein, auf dem sie geschrieben stehen. Die Linke in
Österreich verdient die Solidarität gegen die faschistoide FPÖ-
Regierung deshalb in höchstem Ausmaße.
>
Der Sachschaden an unserem Eigentum beläuft sich auf über 1000 DM,
wir erwägen Anzeige zu erstatten und eine Zivilklage auf
>Schadensersatz einzureichen. Allerdings sehen wir dies als chancenlos
an.


Ich stehe für Rückfragen zur Verfügung. Telefon (07071) 440541 oder
(07657) 932014 (fragen!).


Mit der Bitte um Veröffentlichung dieser Vorkommnisse.


Mit freundlichen Grüssen

Titus Stahl

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