geert lovink on 5 Feb 2001 22:08:02 -0000


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[Nettime-nl] voor degenen die duits lezen: dds verhaal


(artikel uit het duitse online magazine telepolis)

http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4843/1.html

Es ist wieder 1994

Konrad Lischka   05.02.2001
Die Digitale Stadt Amsterdam ist tot - die Gemeinschaft zum Neuaufbau aber
sehr lebendig

Schon vor falsch durchlochten Stimmzetteln wurde ein Zusammenwachsen von
Politik und digitaler Revolution herbeigeträumt. Nur waren die Visionen
damals ein wenig visionärer als das elektronische Zettelstanzen. Ein Forum
wie seinerzeit in der Polis sollte im Netz entstehen.

Damals, im Januar 1994 wurde in Amsterdam "De Digitale Stad" (  DDS)
gegründet. Von der Stadtregierung gefördert und von Graswurzel-Aktivisten
organisiert sollte das Projekt in den zehn Wochen vor der Stadtratswahl
Politiker und Bürger in virtuellen Diskussionsräumen zusammenbringen und
durch öffentliche Terminals einen demokratischen Zugang zu neuen
Kommunikationsmitteln schaffen.

Die Mutter aller elektronischen Kommunen : Das digitale Amsterdam

Die Digitale Stadt hatte nach den ersten Wochen 10000 aktive Bürger - das
Projekt wurde fortgesetzt. Die Visionen wuchsen mit den Nutzerzahlen. "Die
Welt kann von den Holländern lernen, geographische und virtuelle
Gemeinschaften eng zu verknüpfen", jubelte der Publizist Howard Rheingold.
Marleen Stikker, die erste Bürgermeisterin der Digitalen Stadt glaubte gar:
"Jeder ist gleich im Netz. Man trifft Menschen die man sonst nie gesehen
hätte."

Heute steht die Digitale Stadt vor dem Aus. Am 15. Februar wollen die Bürger
in einer Generalversammlung über die Zukunft des inzwischen
privatwirtschaftlich organisierten, jedoch nach ökonomischen Kriterien
erfolglosen Projekts entscheiden. Die Entwicklung der Digitalen Stadt ist
eine pointierte Geschichte des Internet, der Ignoranz und des Ringens um
Definitionsmacht von Politik, Wirtschaft und Nutzern.

Am Anfang waren die Hacker. Die niederländische Gruppe Hacktic Netwerk und
das soziokulturelle Zentrum De Balie in Amsterdam gründeten Anfang 1994 die
Digitale Stadt als ein textbasiertes Mailboxsystem. Die Menschen sollten
diskutieren, untereinander und mit ihren zu wählenden Vertretern. Man konnte
online Dokumente der Stadtverwaltung abrufen und Anfragen nach spezifischen
Informationen abschicken. Das wesentliche Ziel der Initiative war aber ein
Zugang zum Internet für die breite Bevölkerung. Modems für Computer waren
1994 noch so wenig verbreitet, dass man vor allem auf öffentliche Terminals
in Bibliotheken und Kulturzentren setzte. Als sich das wenig später änderte,
waren die hohen Kosten für private Internetzugänge eine neue Hürde.
Internetzugang und Email-Adresse waren und sind bei der Digitalen Stadt
kostenlos. Hacktic Netwerk gründete noch 1994 einen reinen Internetprovider
mit dem programmatischen Namen XS4ALL.

Die staatliche Unterstützung von Stadt und Wirtschaftsministerium für die
Digitale Stadt im Anfang war bei den Initiatoren durchaus willkommen.
Rückblickend sprechen der Journalist Geert Lovink und Aktivist Patrice
Riemens von einem "Nachfolger des öffentlichen Sendesystems" als Antwort auf
die Frage, wem letztlich der neue mediale Raum gehört und wer
nicht-kommerzielle Kultur garantiere.

Die Digitale Stadt profitierte vom ersten Internet-Hype, den sie in Holland
sicher auch stimulierte. Die Anzahl registrierter Nutzer wuchs 48000 im Mai
1996, dann auf 80000 im Mai 1998. Die staatliche Unterstützung wurde nicht
allzu schmerzlich vermisst, da die geldbringenden Aktivitäten, wie die
Unterstützung kleiner Unternehmen beim Internetauftritt das kostenlose
Angebot quersubventionierten.

Die Digitale Stadt war ein Erfolg, den Nutzerzahlen zufolge. Das Alternative
in Politik und Kultur hingegen war Stil. Die Metapher der Stadt blieb
letztlich auf die Wiedererrichtung bekannter Strukturen beschränkt. In der
Digitalen Stadt können Besucher an thematischen Boulevards spazieren und bei
entsprechenden Läden oder Informationsangeboten vorbeischauen. Bei
politischen Strukturen verhält es sich ähnlich. Schon 1995 beklagte die
damalige Bürgermeisterin Marleen Stikker:

 "Die Aktivität der Politiker ist nicht überwältigend. Da fehlt es nicht an
gutem Willen, sie sind einfach etwas schüchtern, was das neue Medium
angeht."

Hier irrte Stikker. Die allmonatliche Teilnahme an einer Diskussion wie dem
Format "Question Time" in der Digitalen Stadt entspricht nicht der Idee
eines Forums, sondern vielmehr den seit Jahrzehnten bekannten Abenden im
Ortverein. In den elektronischen Foren der Digitalen Stadt diskutierten
allein Gleichgesinnte über lokale Themen wie die Initiative "autofreies
Amsterdam", die Vergrößerung des Flughafens Schipol und ähnliches. Rop
Gonggrijp, der Gründer von Hacktic widerspricht:

 "DDS war ein politischer Ort. Die Debatte um das Verhältnis von Internet zu
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wurde hier und in den Foren von XS4ALL
geführt."

Nur: von wem? Reinder Rustema, der Sprecher der heutigen Bewegung zur
Rettung der Digitalen Stadt räumt ein: "In DDS haben sich Leute gefunden und
organisiert. Politik im Sinne eines Dialoges mit Politikern gab es aber
nicht. Die Leute wollten nicht und die Politiker nahmen es nicht ernst und
waren nicht präsent." Hinzu kommt, dass die Digitale Stadt nicht einmal die
Heterogenität bestehender urbaner Strukturen wiederspiegelte. Eine  Studie
der Universität Amsterdam von 1998 zeigt, dass der Anteil junger, gebildeter
Männer an der Bevölkerung der digitalen Stadt weit höher ist als der an der
Bevölkerung Holland.

Inwieweit konnte dieser Raum tatsächlich ein öffentlicher werden? Die
demographische Nutzerstruktur betreffend ist das eine Frage der
Zugangskosten und der Interfacegestaltung von Computern. Doch ebenso wichtig
wie der Zugang ist der Raum selbst. Die Politik die Definitionsmacht hier
abgelehnt. Geert Lovink schrieb im vergangenen Jahr:

 "Politische Parteien haben sich aus der Debatte um öffentlichen Raum im
Cyberspace zurückgezogen. Sie investieren in die Online-Verfügbarkehit
eigener Ansichten, doch das ergibt keine öffentliche Plattform."

Dass der ursprüngliche Zustand einer Gesellschaft nicht die Demokratie,
sondern der Markt ist, zeigt sich natürlich in politisch nicht definierten
Räumen. Die Digitale Stadt existierte im politischen und wirtschaftlichen
Raum als Stiftung. Der öffentliche Raum wurde mit auf dem Markt verdientem
Geld geschützt. 1997 erwirtschaftete die Digitale Stadt einen Umsatz von
einer halben Million Dollar und beschäftigte 25 Angestellte. Das im März
2000 die Organisationsform in eine privatwirtschaftliche umgewandelt wurde,
war letztlich eine Formalität. Direkter Joost Flint und sein Partner Chris
Göbel waren schon zuvor Unternehmensführer gewesen. Nach einem auch heute
noch nicht näher bekannten Vertrag mit dem Aufsichtsrat der Stiftung waren
sie es nun auch formal und zudem Eigentümer der Digitalen Stadt. Sie
verpflichteten sich im Vertrag zu einer Fortführung der bisherigen kosten-
und gewinnlosen Angebote.

1998 war schon XS4ALL an den niederländischen Telekommunikationskonzern KPN
verkauft worden. Es war die Zeit der kalifornischen Ideologie aus dem
Silicon Valley: Freiheit vom Staat wird mit dem Anspruch auf individuelle
Freiheit der 60er und 70er Jahre gleichgesetzt und als
Wirtschaftsliberalismus gelebt. Kein Ort schien damals verlassener von
staatlichem Einfluss als das Internet. Deshalb sah man hier eine New Economy
jenseits bekannter Gesetzmäßigkeiten blühen. Patrice Riemens, Mitinitiator
der Bewegung zur Rettung der Digitalen Stadt beschreibt diese Stimmung:

 "Die neuen Eigentümer der Digitalen Stadt schauten sich die Anzahl ihrer
registrierten Nutzer an und verglichen sie mit den Beträgen, die bei
Übernahmen von Mobilfunkunternehmen pro Kunde gezahlt wurden. Heraus kam
eine konservative Rechnung von 1000 Gulden multipliziert mit 140000. Wow,
wir sind reich, dachten sie."

Flint und Göbel verteilten die Geschäftsbereiche der Digitalen Stadt auf
vier Tochterfirmen: DDS City für die eigentliche, verlustbringende Digitale
Stadt, DDS Ventures für Bildungsangebote, DDS Services für die Technik und
DDS Projects für das Gestalten von kommerziellen Seiten im Internet. DDS
Ventures haben Flint und Göbel im Oktober an den niederländischen Verlag
Malmberg verkauft, im November wurde das britische Unternehmen Energis
Eigentümer von DDS Services. Mit den Gewinnen von DDS Projects ist die
Digitale Stadt offenbar nicht zu finanzieren. Ende vergangenen Jahres wurde
die Nachrichtenredaktion der Digitalen Stadt aufgelöst. Es gab Gerüchte,
Anfang Januar sagte DDS-Eigentümer Joost Flint dann einem niederländischen
Computermagazin: "Die Digitale Stadt zu schließen, ist eine realistische
Option." Nach ökonomischen Kriterien und Handlungsmustern ist kein
öffentlicher Raum zu erhalten. Patrice Riemens:

 "Die Idee, die Digitale Stadt durch den dotcom-Wahn querzusubventionieren
war nicht schlecht, aber sie hat nicht funktioniert."

Seit einem Beitrag von Reinder Rustemas in einem Internet-Newsforum am 19.
Dezember gibt es neue Hoffnung für die Digitale Stadt. Rustemas fragte,
warum nicht die Bewohner ihre Stadt übernehmen. Inzwischen hat die  viodds
(Vereniging in oprichting de Digitale Stad) 400 Mitglieder. 125 diskutieren
regelmäßig, 30 haben konkrete Aufgaben übernommen. Am 15. Februar sollen bei
einer Generalversammlung der Mitglieder in Amsterdam neue
Organisationsstrukturen beschlossen und Verantwortliche gewählt werden.
Wahrscheinlich in Form eines Vereins wird die viodds dann offizielle
Verhandlungen mit den jetzigen Eigentümern der Digitalen Stadt aufnehmen
können. Die haben über ihre Absichten nicht viel verlauten lassen, außer
dass sie mit der Digitalen Stadt nicht tolerierbare Verluste machen.

Nachdem Politik und Wirtschaft versagt haben, ist die Frage nach einem
öffentlichen Raum im Netz so unbeantwortet wie 1994. Reinder Rustema denkt
an eine Finanzierung durch Sponsoren. Patrice Riemens hingegen
schlussfolgert aus der Entwicklung: "Es gibt heute genügend kostenlose
Anbieter von Internet-Dienstleistungen. Und doch muss man sie bezahlen: Mit
seiner Privatsphäre etwa. Man wird mit Werbung überschüttet, die Nutzung des
Internets wird protokolliert und persönliche Daten möglicherweise
weiterverkauft. Wenige, aber bewusste und aktive Mitglieder täten der
Digitalen Stadt gut. Die Geschichte wiederholt sich - oder eben nicht




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