ulrich gutmair on Mon, 12 Apr 1999 08:00:33 +0200 (CEST) |
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<nettime> three reports from former yugoslavia |
hi, the following three reports come from klaus buchenau who is currently in zagreb. he visited pale and sarajevo last week. text 1 is about public opinion in croatia concerning the war: most croatians seem to be more than happy, because nato is doing the job of bombing the enemy. there is a broad consensus in the population that serbia was the originator of the wars in croatia and bosnia. nevertheless some croatian commentators think that the nationalists in croatia shouldn't be too happy about the sitation: it will be the beginning of an even stronger western politics to strengthen national unity and integrity of bosnia, which is not really an aim of croatias government... text 2 refers to the question of the role of the orthodox church in milosevic's serbia today: the orthodox national church of course interprets all nato-actions as mere aggression and the serbian war as a matter of self-defense. but milosevic always exploited the church for his own purposes. the church supported milosevic in the beginning, but recently takes more differentiated positions. after the winter of 1997/98 - when the KLA appeared on the scene - the bishop of kosovo, artemije, for example started an initiative to find out possibilities of peaceful co-existence between the serbs and albanians in kosovo. the plan included local self-administration and the democratization of most political structures in the area. in 1998 artemije demanded in co-operation with a committee of kosovo-serbs to be part of the international negotiations concerning the kosovo. beograd didn't like that at all. the democratic idea of hearing the persons affected first is more dangerous to the regime than any escalation of the conflict... text 3 is a short report about his visit in pale, which was also very short. police told him to fuck off very quickly... unfortunately all of the texts are in german, sorry for *spamming* the boxes of those who don't understand german... please reply to my adress if you want to contact klaus personally. ciao u (1) Zwischen Mitleid und Schadenfreude - Kroatische Stimmen zur NATO-Aktion - Am Abend des 25. Maerz, als das kroatische Fernsehen die ersten Bilder von der Bombardierung Belgrads uebertrug, knallte es auch in der kroatischen Hauptstadt Zagreb: Begeisterte kroatische Nationalisten feuerten Freudenschuesse ab, meist mit uebriggebliebenen Sylvesterknallern. Mitunter kamen die Schuesse wohl auch aus Waffen, die zuletzt im "Heimatkrieg", wie der jugoslawische Zerfallskrieg von 1991 bis 1995 offiziell in Kroatien heisst, eingesetzt worden waren ... Die Zustimmung, wenn nicht gar Euphorie fuer die NATO-Aktion gegen Jugoslawien ist in Kroatien ueberwaeltigend. 90 Prozent aller Buerger des Landes, fand die Tageszeitung Vecernji list in einer Umfrage heraus, unterstuetzen die Luftangriffe. In den letzten Jahren hat es kein Thema gegeben, bei dem die krisengeschuettelte kroatische Gesellschaft so einig gewesen waere wie jetzt. Diese Einigkeit baut auf dem Konsens auf, dass die Serben allgemein und Slobodan Milosevic im besonderen die alleinige Schuld an dem Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina tragen. Dass dabei auch noch einige offene Rechnungen beglichen werden koennen, kommt der nationalistischen Presse gerade recht. "Es gibt doch noch Gerechtigkeit", jubelte "Slobodna Dalmacija" vor einigen Tagen. Denn bei einem NATO-Angriff sei auch die Farm von Milan Babic getroffen worden. Babic war von 1991 bis 1995 Praesident des "Serbischen Autonomen Gebiets Krajina". Die serbische Mehrheit dieses Gebiets war 1991 nicht bereit, die kroatische Souveraenitaet anzuerkennen und strebte stattdessen den Anschluss an Serbien an. 1995 hatte die kroatische Armee bei der "Rueckeroberung" der Krajina die serbische Bevoelkerung vertrieben, und ihr nationalistischer Fuehrer Babic schuf sich bei Belgrad eine neue Existenz bis ihn jetzt angeblich die NATO-Bomben einholten. Neben dieser volkstuemlichen Mischung von Schadenfreude gegenueber den Serben und Mitleid mit den Albanern gibt es auch wesentlich kultiviertere Stimmen, die die Intervention der NATO unterstuetzen. Fuer den renommierten kroatischen Oppositionspolitiker Stipe Mesic schliesst sich mit der gegenwaertigen Entwicklung ein Zyklus, den Milosevic vor 10 Jahren durch sein triumphalistisches Auftreten auf dem Kosovo einleitete. Heute erinnert er sich an eine Prophezeiung, die er Anfang der 90er Jahre als letzter Praesidiumsvorsitzender des zerfallenden Jugoslawiens getroffen hatte. "Ich habe schon damals gesagt, dass der Krieg in Slowenien kurz, in Kroatien blutig, und in Bosnien-Herzegowina aussergewoehnlich brutal sein wird. Und ich habe hervorgehoben, dass der Krieg in Serbien sein Ende finden wird, und dass Serbien im Blut baden wird." Sehr umstritten ist allerdings, welche Konsequenzen die NATO-Operation fuer Kroatien selbst hat. Die Haltung der Regierung ist zwiespaeltig. Auf der einen Seite versuchen Praesident Tudjman und sein Aussenminister Mate Granic, durch betonte Solidaritaet mit der NATO das laedierte Image Kroatiens zu verbessern und die Aufnahme in wichtige internationale Gremien zu erreichen. Die US-Regierung hat diese Geste nicht uebersehen und Kroatien versichert, es geniesse den vollen Schutz der NATO fuer den Fall eines Angriffs aus Belgrad. Ob aber Kroatien deshalb auf mehr Verstaendnis fuer seine Obstruktionspolitik in Bosnien-Herzegowina rechnen kann, dessen "kroatischen Anteil" Tudjman immer noch gerne an Kroatien anschliessen wuerde, ist mehr als fraglich. Kluge Kommentatoren verstehen daher die Politik der NATO nicht nur als Attacke gegen das "boese Serbien", sondern auch als Signal an die Nationalisten im eigenen Land. "Freut euch nicht ueber die Bomben, die auf Jugoslawien fallen, sondern fragt euch lieber, wem dieses Zeichen gilt", sagte der sozialliberale Abgeordnete Drazen Budisa im kroatischen Parlament. Er gehoert zu jener Minderheit unter den kroatischen Politikern, die den NATO-Angriff nicht als willkommene Aktion gegen den Erzfeind und Konkurrenten Serbien, sondern als Primat der Menschenrechte ueber die staatliche Souveraenitaet interpretieren. Der Kommentator der Zeitung "Nacional" schreibt im selben Sinne: "Die Aktion auf dem Kosovo vernichtet die Grundlagen, auf denen die kroatische Fuehrung bis jetzt ihre internationale Politik aufgebaut hat (...) Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass internationale Praesenz im Raum des ehemaligen Jugoslawien staerker werden wird. Das aber passt der kroatischen Regierung nicht, vor allem wegen Bosnien, wo die internationale Gemeinschaft ihre Anstrengungen zur Schaffung eines einheitlichen Staates noch verstaerken wird." Vor diesem Hintergrund interpretieren einige Journalisten die erstaunlich milde Stellungnahme des kroatischen Sicherheitsrates, die zwar "volles Verstaendnis" fuer die NATO-Aktionen ausdrueckt, aber auch eine Interesse daran, "dass die kriegerischen Zusammenstoesse in der Nachbarschaft Kroatiens aufhoeren". Und ganz am Rand des oeffentlichen Meinungsspektrums, kaum noch hoerbar, gibt es auch noch Stimmen, die das NATO-Engagement ausschliesslich negativ sehen. Im Oppositionsblatt "Feral Tribune" spricht die renommierte Belgrader Anthropologin Zagorka Golubovic die Befuerchtung aus, die Bombardierung werde Milosevics Herrschaft weiter zementieren und Serbien zivilisatorisch "um hundert Jahre" gegenueber Europa zurueckwerfen. Golubovic zeichnet die Horrorversion eines militaerisch und wirtschaftlich zerstoerten, aber immer noch revisionistischen Serbien, das alle Energie in die erneute Aufruestung setzen werde. Dass sie fuer sich, wie fuer die demokratische Opposition ueberhaupt, in einem solchen Serbien weniger Chancen sieht als je zuvor, versteht sich von selbst (2) Am Mittwoch hatte das Patriarchat der Serbischen Orthodoxen Kirche ueberraschende, aber gern gesehene Gaeste. Drei ranghohe russische Moenche waren auf unklarem Weg nach Serbien gekommen. Im Reisegepaeck hatten sie eine der kostbarsten Reliquien der russischen Orthodoxie: Die Ikone der Gottesmutter von Kursk. Die Russen verehren sie als Schutzheilige vor aeusseren Feinden. Nun wurde sie bei einem Gottesdienst in der Belgrader Kathedrale aufgestellt, und die drei Moenche sagten im Belgrader Fernsehen, sie haetten sich spontan zu dieser Reise entschlossen, um die Serben gegen das Boese zu unterstuetzen. Der serbische Patriarch Pavle, der ein sofortiges Ende der Bombardierungen gefordert hat, haelt in diesen Tagen trotz staendigen Luftalarms an einer sympathischen Angewohnheit fest: Er bewegt sich zu Fuss und mit den immer schlechter funktionierenden oeffentlichen Verkehrsmitteln durch Belgrad. Zum Beispiel zum Kloster Rakovica, das bei einem Luftangriff offensichtlich beschaedigt worden ist. Damit zeigt er sich den Serben einmal mehr als "heiliger Mensch", als Kirchenfuehrer, der bereit ist, auch das schwaerzeste Schicksal mit seinem Volk zu teilen. Dass Pavle die NATO als Agressor sieht und die Serben als Verteidiger sieht, versteht sich fuer eine orthodoxe Nationalkirche, wie es die serbische ist, von selbst. Seit Pavle Ende 1990 die Fuehrung der Kirche uebernahm, hat er sein Ansehen bei den Serben kaum in politischen Einfluss umsetzen koennen. Denn Milosevic hat zur Kirche stets ein rein ausbeuterisches Verhaeltnis gehabt: Seit 1989, als sich die Schlacht auf dem Amselfeld zum 600sten Mal jaehrte, hat er den Kosovomythos immer wieder ausgeschlachtet, um seine Macht zu festigen. Ansonsten hat er die Wuensche der Kirche erfolgreich ignoriert, hat ihr weder die 1945 verstaatlichten Gebaeude zurueckgegeben noch den Religionsunterricht in den Schulen zugelassen - ein krasser Unterschied zum heute recht klerikal verfassten Kroatien. Die Kirche pauschal als Bundesgenossin Milosevics zu bezeichnen, waere also ganz falsch. Richtiger ist es, von einer wechselhaften Beziehung zu sprechen, die sich nach einem kurzen Hoch nun schon jahrelang in einem Dauertief befindet. Erst durch die aeussere Bedrohung ist der Konflikt wieder etwas in den Hintergrund gerueckt. Die Sympathien der Kirche fuer Milosevic beginnen und enden auf dem Kosovo. In der zweiten Haelfte der 80er Jahre, als sich der Kommunist Milosevic in der bislang tabuisierten nationalen Frage profilierte, glaubten viele in der Kirche daran, dass er es ernst meinte mit dem Schutz der Serben auf dem Amselfeld. "Niemand darf euch schlagen", hatte er 1986 zu einer aufgebrachten Menge von Kosovoserben gesagt, die in Pristina von der Polizei drangsaliert wurde, als sie auf ihre bedrohliche Lage aufmerksam machten. Seit Anfang der 60er Jahre war der serbische Bevoelkerungsanteil in der Provinz von etwa 30 auf 10 Prozent gefallen, und die verbliebenen Serben fuehlten sich zunehmend unwohl unter der erdrueckenden albanischen Mehrheit. Fuer die Orthodoxe Kirche, die in der 500jaehrigen Tuerkenzeit zur "Hueterin des serbischen Volkes" gemausert hatte, wirkten Milosevics Worte wie eine Erloesung. Endlich ein Kommunist mit einem "Gewissen", ein "ehrenwerter Mensch", meinten damals viele serbische Priester und Theologen. In ihrer Sorge um die Kosovoserben und die vielen Kloester in der Provinz waren sie allerdings eher unsensibel fuer die Noete der albanischen Mehrheit, die in der Kirchenpresse immer oefter als genozidal veranlagte Gewalttaeter denunziert wurde. Als Milosevic 1989 die Autonomie des Kosovo beseitigte und damit den Albanern brutal vor den Kopf stiess, stimmte die Kirche in den Jubel der serbischen Massen mit ein. Das unterdrueckte, paranoide Erbe aus der Tuerkenzeit und vor allem aus dem Zweiten Weltkrieg, als es zu einem wirklichen Genozid an den Serben kam, tobte sich in diesen Jahren aus. Inzwischen war die Kirche aus dem Randdasein, das sie in Tito-Jugoslawien gefuehrt hatte, wieder in die Mitte der Gesellschaft zurueckgekehrt - leider all zu oft nicht als moralische, sondern als nationalistische Instanz. Waehrend des Krieges in Kroatien und Bosnien-Herzegowina geisterten Bilder von waffensegnenden Popen durch die Medien. Der Patriarch rief allerdings immer wieder zum Frieden auf und verurteilte die Kriegsverbrechen auf allen Seiten. Gleichzeitig unterstuetzte er aber die serbischen territorialen Forderungen und meinte auch in diesem Fall, die Serben befaenden sich in einem Verteidigungskrieg. Als Milosevic seine Unterschrift unter den Vance-Owen Plan setzte und sich so offen vom grossserbischen Projekt verabschiedete, fiel sein Ansehen in der Kirche rapide. Schon vorher hatte sich Kritik geregt, weil Milosevic innerhalb Serbiens die kommunistische Gaengelung der Kirche in abgemilderter Form weiterfuehrte - und nun kam auch noch der "nationale Verrat" dazu. Die bosnischen Serben, die den Plan ablehnten und weiterkaempften, hatten groessere Sympathien - auch weil sich Radovan Karadzic als Musterorthodoxer gab. "Alles, was ich tue", toente Karadzic 1994, "tue ich mit dem Gedanken an Gott". Ob seine Opfer davon etwas gemerkt haben? Nach dem Abkommen von Dayton 1995 fiel die Serbische Orthodoxe Kirche, wie die serbische Gesellschaft insgesamt, in eine Nachkriegspsychose. Fuer ein Eingestaendnis der eigenen Verstrickung haette offensichtlich wesentlich mehr Zeit vergehen muessen - aehnlich wie bei der deutschen Vergangenheitsbewaeltigung. Selbstkritik faellt der Kirche doppelt schwer angesichts starker "Phantomschmerzen". Denn nicht nur das serbische Siedlungsgebiet, sondern auch die Zahl der Kirchengemeinden ist durch die Vertreibung der Serben aus Kroatien 1995 deutlich verkleinert worden. Gelegentlich hat sich in der Kirche seit 1995 aber auch eine Ernuechterung, eine gestiegene Reife bemerkbar gemacht - und das gerade auch in Bezug auf das Kosovo. Als im Winter 1997/98 die UCK aktiv wurde, kam es dem serbisch-ortodoxen Bischof des Kosovo, Artemije, nicht mehr in den Sinn, die serbische Position mit Floskeln aus der Kosovo-Mythologie zu verteidigen. Angesichts der reellen Gefahr, das Amselfeld in einem eskalierenden Konflikt fuer immer zu verlieren, begann der Bischof, sich gemeinsam mit den Serben vor Ort Gedanken ueber ein moegliches Zusammenleben mit den Albanern zu machen. Herausgekommen ist dabei ein Plan zur Kantonisierung der Provinz, der die Selbstverwaltung auf lokaler Ebene und die weitgehende Demokratisierung aller politischen Strukturen enthaelt, aber keinen Republikstatus und kein Sezessionsrecht. Im Herbst 1998 forderte Artemije gemeinsam mit einer Abordnung von Kosovoserben, an den internationalen Verhandlungen zum Kosovo beteiligt zu werden - und stiess damit bei den Maechtigen in Belgrad auf taube Ohren. Denn ein demokratisches Vorgehen, bei dem zuerst die Betroffenen gehoert werden, gefaehrdet die Belgrader Maechtigen zweifellos mehr als die Eskalation des Konflikts zum pseudoheroischen "Endkampf". Entsprechend brutal fiel der serbische Vizepraesident Seselj ueber Artemije her - die Regierung werde sich nicht von einem "verrueckten Bischof" vorschreiben lassen, wie sie die Integritaet des Landes zu verteidigen habe. Wie sich dagegen Seselj diese "Verteidigung" vorstellt, kann man inzwischen jeden Tag im Fernsehen bewundern. (3) Pale, etwa 15 Kilometer oestlich von Sarajevo in der serbischen Entitaet Bosnien-Herzegowinas gelegen, ist ein wunderschoener Ort. Bewaldete Berge, klare Luft, und an diesem Ostersonntag auch strahlender Sonnenschein. Als Urlaubort kann Pale, Wohnsitz des Radovan Karadzic und militaerisch-politisches Hauptquartier der bosnischen Serben im Krieg von 1992 bis 1995, aber nicht empfohlen werden. Schon garnicht fuer Buerger von NATO-Staaten. "Entschuldigen Sie, koennen Sie mir sagen, wann diese orthodoxe Kirche gebaut wurde?" Noch nie waren langweilige Touristenfragen so gefaehrlich wie in diesen Tagen. "Und Sie, koennen Sie mir sagen, woher Sie sind?", erwidert er etwa 45jaehrige Mann, der eben aus der orthodoxen Kirche gekommen ist und mit seinem schwarzen Bart, der schwarzen Kleidung und dem riesigen Holzkreuz auf der Brust aussieht wie ein Priester. Als er ein schuechternes "ich bin Deutscher" zur Antwort bekommt, faucht er los. "Und ich bin ein Serbe aus Pale. Und ansonsten bin ich Polizist. Und du hast hier, waehrend ihr das serbische Volk mit euren Bomben umbringt, ueberhaupt nichts zu suchen!" "Aber meine Frage hat doch gar nichts mit Politik zu tun", meint nun der Deutsche, der in seiner AEngstlichkeit immer naiver wird. Die Augen des Klero-Polizisten funkeln auf. "Seit Kragujevac habt ihr hier weder etwas zu fragen noch etwas zu suchen", zischt er. Im zentralserbischen Kraguejevac hatten die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg an einem einzigen Tag 7000 Geiseln im Rahmen einer "Vergeltungsaktion" gegen die serbische Widerstandsbewegung hingerichtet. Der Deutsche, erst 25 Jahre nach dem Massaker geboren wurde, entschuldigt sich, um die Situation zu deeskalieren - was ihm nur mit Muehe gelingt. Der Klero-Polizist entfernt sich, macht noch einige andere Dorfbewohner mit abrupten Gesten und heftigen Worten auf den "Eindringling" aufmerksam, und verschwindet zwischen den Haeusern. Der Tourist versteht nun endlich die Zeichen der Zeit, nimmt die Beine in die Hand und rennt zum Taxistand des Dorfes. Dann sitzt er atemlos auf dem Beifahrersitz des Taxis, das langsam in Richtung Sarajevo tuckert, immer am tiefen Abgrund entlang. Der Taxifahrer, auch ein Serbe aus Pale, ist froh, dass er einen Kunden hat. Willig beantwortet er die Frage des Touristen ueber die Kirche, und offensichtlich hat er keine grosse Lust, ueber Politik zu sprechen. Erst auf die direkte Frage, was er von der NATO-Aktion haelt, bricht es aus ihm heraus. Unuebersetzbare Schimpfkanonaden wechseln sich mit Versatzstuecken aus der serbischen Propaganda ab. "Das ist ein Riesenverbrechen, die NATO toetet Kinder und alte Leute und bestraft ein Volk, das niemals jemanden angegriffen oder jemandem etwas zuleide getan hat." "Und was ist mit den albanischen Fluechtlingen? Ist es in Ordnung, wenn die Kosovoalbaner vertrieben werden?", will der Tourist wissen. "Ich bin nicht dafuer, dass Unschuldige leiden. Aber wenn die Albaner einen eigenen Staat haben wollen, dann sollen sie nach Albanien gehen!" Gluecklicheweise nimmt der sympatisch aussehende, leicht ergraute Mitfuenfziger den Fuss etwas vom Gas, waehrend er sich echauffiert und gestikuliert. Als die Skyline von Sarajevo auftaucht, hat sich seine Kanonade erschoepft, und er verfaellt in Melancholie. "Weisst du, wie schoen es unter Tito war? Ich war Buchhalter in Sarajevo, hatte ein vernuenftiges Gehalt und meinen Jahresurlaub am Meer, mit Frau und Kindern. Aber dann ist jemand von aussen gekommen und hat Zwietracht zwischen unsere Voelker gesaeht. Warum haben die Muslime 1991 ihre nationale Partei gewaehlt? Sie wollten kein Zusammenleben mehr. Jemand hat den Muslimen und den Kroaten Waffen gegeben, und dann kam der Krieg." Propaganda ist, wenn man einem ganzen Volk die Augen verbindet. Und ihm dann erzaehlt, schwarz sei in Wirklichkeit weiss, heiss in Wirklichkeit kalt und so weiter. Waehrend der Taxifahrer erzaehlt, fallen dem Touristen die Kioske ein, die er in Pale gesehen hat: Kein einziges Blatt aus Sarajevo gibt es hier zu kaufen, nur die quasi-amtliche Belgrader "Politika", einige Raetsel-, Familien- und Pornozeitschriften. Beim Fernsehen und Radio ist es aehnlich: Selbst wenn man fremde Sender empfangen kann, glaubt man nur den eigenen. So stolpert auch der Taxifahrer mit verbundenen Augen durch die Geschichte - und wenn er in seiner Blindheit jemanden zertritt, wird er glauben, es habe sich um eine Attrappe gehandelt, die ihm "einer unserer vielen Feinde" in den Weg gelegt hat. Doch der Weg von der totalen Propaganda zur totalen Kapitulation ist manchmal kuerzer, als man denkt. "Koennte es sein", fragt der nun immer kiebigere Tourist den Taxifahrer, "dass dieser "jemand", der hier Zwietracht unter den Voelkern gesaeht hat, garnicht von aussen gekommen ist, sondern von innen? Jemand, der Hass saeht, um Macht zu ernten?" Die Gesichtszuege des sympatischen Mittfuenfzigers geraten in Verwirrung, sein Weltbild in ploetzliche Aufloesung. "Ja, ueberall sind jetzt diese Mafiosi an die Macht gekommen, das stimmt. Die verschaffen uns auch kein besseres Leben, nur sich selbst. Es gibt keine Ordnung mehr." Und dann kommt der kroenende Abschluss, auf den der deutsche Bundestag kaum vorbereitet sein duerfte: "Ich haette nichts dagegen, wenn Deutschland die Verwaltung im ganzen ehemaligen Jugoslawien uebernehmen wuerden. Wirklich! Dann gibt‘s Ordnung und Recht und Arbeit und Lohn. "Sie meinen, Jugoslawien soll unser siebzehntes Bundesland werden?" "Genau", ruft der Taxifahrer aus und besiegelt die neue "Losung" mit einem deftigen Handschlag. Dann startet er seinen Wagen und faehrt in das schoene, blinde Pale zurueck ... klaus buchenau ***** ***** ** *** *** **** ** ** ** **** * * ***** * **** * *** ***** * **** ** ulrich ***** * * gutmair **** * strassburger str. 24 * 10405 berlin * ++49-30-440 530 69 * --- # distributed via nettime-l : no commercial use without permission # <nettime> is a closed moderated mailinglist for net criticism, # collaborative text filtering and cultural politics of the nets # more info: majordomo@desk.nl and "info nettime-l" in the msg body # URL: http://www.desk.nl/~nettime/ contact: nettime-owner@desk.nl