Geert Lovink on Wed, 15 Jan 97 09:46 MET


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nettime: Medosch/Ereignissynchronizitaet


From: Armin Medosch <ame@tp.heise.de>
Organization: Verlag Heinz Heise (Telepolis)
Subject: ereignissynchronizitaet

Aus dem Perversitaetenkabinett der modernen Technologien
Eine Podiumsdiskussion ueber Autorschaft und Multimedia
Kommentar von Armin Medosch

Schon die Fragestellung auf der Einladung, "wird es in Zukunft noch
einen Ur-heber geben oder ist das Medium heute schon selbst der Autor?"
hat eigentlich nur das Schlimmste vermuten lassen. Hier sind deutsche
Geistesgroessen aufgerufen, sich mannhaft dem Perversit=E4tenkabinett der
modernen Technologien entgegenzuwerfen. Und der Verdacht wurde
bestaetigt. Bei einer Podiumsdiskussion von ZDF, BR und Kulturreferat
der Landeshauptstadt Muenchen am 13.01.97 in der Black Box des Muenchner
Gasteigs offenbarte sich wieder einmal der deutsche Geist in der
Medienphilosophie in all seiner wortgewaltigen Hilflosigkeit.

Alle, die eine derartige Diskussion in Deutschland schon einmal verfolgt
haben, kennen das eigentlich schon. Vier Denker, die Betonung liegt auf
dem maennlichen -er der Endung, treten sekundiert von einem Moderator
zum hochfliegenden Gedankenaustausch ueber ein Thema aus dem Gebiet der
Cyberkultur an. Am Ende ist das Publikum wieder einmal kaum gescheiter
geworden, geschweige denn irgendwie besser mit geistigem Werkzeug
ausgestattet, um die Herausforderung der Netze anzunehmen.

Warum also noch darueber berichten, gibt es doch auch bessere
Konferenzen, wie z.B. "Internet und Demokratie" ueber die Sabine Helmers
in Telepolis berichtete oder der Kongress des Chaos-Computer-Clubs, der
sich, wie schon gewohnt, kompetent und vielfaeltig mit Aspekten von
Datenschutz, Zensur und Privatheit im Netz auseinandersetzte.

Dieser bewusste Abend in der Black Box setzte dem Ganzen jedoch das
beruehmte I-Tuepfelchen auf und soll uns als willig-billiges Objekt
dienen, die Unfaehigkeit eines (nicht geringen) Teils der
intellektuellen Elite vor Augen zu fuehren, etwas wirklich Sinnvolles
ueber Internet und Multimedia zu formulieren, nicht zuletzt, da sich
hier auch ein spezifisch deutsches Element in der Mediendiskussion
offenbart, wie es z.B. zuletzt von Lovink/Schultz in "Academia
Cybernetica" gegeisselt wurde.

Angetreten waren Cristoph Dreher, Medienkuenstler, Gert Heidenreich,
Schriftsteller, Wolfgang Schirmacher, Technikphilosoph und Martin
Pieper, ZDF-Jurist, durch den Abend geleitet von Moderator Michael
Schmidt vom Bayerischen Rundfunk. Schon nach den Eroeffnungsstatements
offenbarte sich das Grunddilemma dieser Art von Diskussionen. Zwischen
einer kulturkonservativen Haltung der Besitzstandswahrung im Sinn von
Hochkultur und genialer Autorenschaft (Heidenreich) und philosophisch
abgedrehter Medienspekulation (Schirmacher) fehlt die Perspektive, die
sich mit dem real existierenden Phaenomen Multimedia kompetent
auseinandersetzt. Waehrend Schirmacher den monadenhaften Surfer als
demokratischen Co-Produzenten von Kunst glorifiziert, sieht Heidenreich
Geist, Bildung, Abendland bedroht.

Die Wahrheit aber liegt nicht in der so oft beschworenen Mitte. Denn wie
im Laufe des Abends immer deutlicher wurde, stehen sich die beiden
Herren ja gar nicht so fern. Beide begehen den elementaren Fehler,
Interpretationen der Technik als ein =84Wesen der Technik" zu verstehen.
Mit anderen Worten, Entwicklungen, die eigentlich gesellschaftlich
motiviert sind, werden  deterministisch der Technik unterschoben.

Schirmacher sieht im Internet eine neue Form von Kreativitaet erbluehen,,
frei von der Traditionslast des Abendlandes. Den Autor moechte er am
liebsten abschaffen, findet es unnoetig, dass Menschen sich mit etwas
beschaeftigen muessen, was ein anderer Mensch geschrieben hat. Jeder solle
sich "frei" an jeder Form von Wissen, ob Informationen in Bibliotheken,
literarischen oder akademischen Texten bedienen k=F6nnen, ohne Referenz,
Dankbarkeit oder gar Bezahlung fuer die Autoren.

Heidenreich hingegen sieht die grosse philosophische Krise auf uns
zukommen. Da man den manipulierten Bildern nicht mehr trauen koenne, sei
der elementare Modus der Selbstvergewisserung in Frage gestellt. Je mehr
Wissen verfuegbar sei - und hier wurde er schon geradezu reaktionaer -
umsoweniger wuessten wir damit anzufangen. Eine Gesellschaft
hochinformierter Idioten, so Heidenreich woertlich, wuerde auf uns
zukommen. Jeder Feuilletonist koennen ja heute mittels CD ROMs im
Zitatenschatz grosser Autoren wie Nietzsche wuehlen, ohne Nietzsche
ausgiebig gelesen oder verstanden zu haben.

Damit provozierte er aber Schirmacher nur zu neuen rhetorischen Blueten.
Mit Hilfe von Software wie Photoshop oder Quark X-Press koenne, wenn es
nach ihm geht, nun jeder ein neuer Picasso werden. Jeder? Ja, jeder,
denn das Internet kitzelt den Nietzscheanischen Uebermenschen noch aus
dem letzten Dorfjungen in der globalen Mediensuppe.

Was die anderen beiden Teilnehmer zu sagen hatten, blieben eigentlich
Randbemerkungen. Dreher disqualifizierte sich selbst, indem er Projekte
von Ponton European Media Art Lab so darstellte, als waeren es seine
gewesen (...damals bei der Ars Electronica in Wien). Immerhin punktete
er beim Publikum mit kernigen Spruechen, wie jenem vom
"Perversitaetenkabinett der modernen Technologien".

ZDF-Justitiar Pieper versuchte leider, die philosophische Vogelschau von
Schirmacher/Heidenreich mitzumachen und wusste so manches lateinische
Spruchwort einzuflechten. Dabei zeigte er zumindest ansatzweise am
meisten Sachverstand, etwa zu wirklichen realen Fragen des Copyrights
oder der digitalen Signaturen bei Geschaeftsabwicklungen im Internet.

Doch dass es nicht dazu kam, reale Fragen in nachvollziehbarer Art und
Weise zu diskutieren, daf=FCr sorgte der Moderator. Immer wenn die
Diskussion sich auf das Niveau des Datenfeldweges Internet, so wie wir
ihn kennen, herabliess, zog er flugs ein Kaertchen aus seinem Repertoire
und schlug ein neues Ueberflieger-Thema an. So wollte er etwa, zu einem
gaenzlich unpassenden Zeitpunkt knapp vor dem Ende der Diskussion noch
wissen, was die Anwesenden von den Maschinenphantasien eines Hans
Moravec halten.

Es stellt sich die Frage, ob dies einfach nur Ausdruck von Unfaehigkeit
ist, oder ob etwa System dahinterschickt. Soll das Publikum vielleicht
absichtlich in die Wueste Internet geschickt werden, damit die
Software-Industrie weiterhin verdummende Benutzeroberflaechen
losschlagen kann, damit die Telekomgesellschaften weiterhin zweistellige
Gewinnzuwaechse verzeichnen und das weltweite geistige Eigentum zum
Shopping-Bazar fuer Bill Gates, Disney, Warner und Konsorten wird?

Kein Wort wurde darueber verloren, da=DF Ende September eine Weltkonferenz
ueber Copyright stattgefunden hatte, mit dem Ziel, die Berner Konvention
zum Schutz des geistigen Eigentums fuer das digitale Zeitalter zu
aktualisieren. Niemand erwaehnte, dass es auch Arbeit und Kosten
bedeutet, den Inhalt von Bibliotheken im Internet "frei" zugaenglich zu
machen und niemand fragte, wer sich fuer die oeffentliche Zugaenglichkeit
von Wissen verantwortlich fuehlen soll.

Wenn das die Form ist, in der ueberwiegend oeffentlich ueber Internet
und Multimedia nachgedacht wird, dann kann die Multimedia-Gesellschaft
wirklich schnurstracks ins "Dark Age" fuehren, wie es etwa der New
Yorker Technologie-Analyst Mark Stahlmann sieht. Dark Age? Ein von einer
Info-Elite regierter Weltstaat, von dem Newt Gingrich traeumt und wie
ihn H.G.Wells literarisch antizipiert hat.

Deshalb sollte den Cyber-Cheerleaders und den Wortakrobaten mit ihren
kulturkonservativen Duenkeln gleichermassen eine Absage erteilt werden.
Lasst uns normal sein. Undo- und Reset-Taste druecken, zurueck zum
Anfang.
Wie war das nochmal, hat hier wirklich jemand ernsthaft behauptet, das
Internet ist heute schon selbst der Autor?

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