das ende der nahrungskette on 6 Mar 2001 19:59:36 -0000 |
[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]
[Nettime-bold] Call for Papers: Texte für einen Sammelband zumThema Raumfahrt / edition-mono |
Call for Papers: Texte für einen Sammelband zum Thema Raumfahrt Arbeitstitel: Das Versprechen der Raumfahrt. Archäologie einer kosmopolitischen Begeisterung Programmatische Vorgaben: Die Raumfahrt scheint heutzutage als utopisches Menschheitsprojekt ausgedient zu haben. Umso mehr Gründe gibt es, ihre einstige Faszination zu ergründen. Die programmatische These des geplanten Buches ist es, dass die Raumfahrt ein emanzipatorisches und befreiendes Potential barg. Dieses konnte sich in mehrfacher Weise äussern: - Als genuin neuzeitliches Phänomen hat sie Teil am Versprechen eines universellen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Gehörten Berichte von Reisen zu anderen Welten vor der Neuzeit in den Bereich der literarischen Fiktion, etwa der Satire (vgl. Lukians Mondfahrt), so wird die Raumfahrt ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts in ein potentiell menschlich machbares Projekt überführt: „Diesen Fieberideen folgte die Hoffnung, eine so schöne Reise wirklich zu unternehmen“[1]. Da aber grösstenteils eingesehen wird, dass der momentane Stand der Technik eine solche Reise nicht erlaubt, gerät sie zu einer langfrisitgen Aufgabe, die nur generationenübergreifend durchgeführt werden kann. Damit trägt sie bei zur Konstitution jener modernen Konzeption einer Forschergemeinschaft, die sich den Fortschritt der jeweils vorigen Generation zunutze macht ohne ihn jedoch dogmatisch zu verteidigen. Das bedeutet eine Verantwortung sowohl gegenüber der Gegenwart als auch gegenüber der Zukunft: die neugewonnenen Erkenntnisse müssen öffentlich gemacht werden, und die Freiheit der Forschung muss gesichert bleiben, damit die anderen Wissenschaftler auf den Ergebnissen ihrer Kollegen aufbauen können. - Gleichzeitig findet eine Popularisierung der Idee der Raumfahrt statt, die sich die Aufklärer zunutze machten. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem das galileische Weltbild, wurden einer interessierten, aber nicht einschlägig gebildeten Leserschaft zugänglich gemacht. Dieses Verfahren hatte auch eine moralische Stossrichtung: es sollte eine Dezentrierung des Menschen und seiner Eitelkeit erreicht werden, indem sich die Imagination buchstäblich vom heimatlichen Erdboden löst. Ausserdem wurden mit der Annahme ausserirdischer, vernünftiger Wesen ein offener Horizont für die Begegnung mit dem Anderen geschaffen[2]. - Die Loslösung vom Erdboden verbindet die Raumfahrt auch mit einer im wahrsten Sinne des Wortes kosmopolitischen Haltung. Das hat im 20. Jahrhundert Emmanuel Lévinas in einer Polemik gegen die Heideggerinaner am schönsten beschrieben. Sein Text, der implizit auch eine Antwort auf Husserls Raumflugreflexionen von 1934 darstellt[3], klagt die Sehnsucht der Heideggerianer nach der Seinserfahrung und nach dem Wiederfinden der eigentlichen Welt im Heiligtum des Ortes als Neopaganismus an. Dieser sei viel gewalttätiger als die vielbeklagte Technik: „Das Eingepflanztsein in eine Landschaft, die Verbundenheit mit dem Ort, ohne den das Universum bedeutungslos würde und kaum existierte eben dies ist die Spaltung der Menschheit in Einheimische und Fremde. Und in dieser Perspektive ist die Technik weit weniger gefährlich als die Geister des Ortes“[4]. In Folge bewundert der Autor auch die Grosstat Gagarins, der wenigstens einmal eine Stunde lang den Ort verlassen hatte und sich im Absoluten des homogenen Raums aufgehalten hatte, dort, wo es keinen Horizont, kein Oben oder Unten mehr gibt. Diese weltbürgerliche Tendenz, die dem Diskurs der Raumfahrt seit seinem Beginn in der Neuzeit inhärent ist, lässt sich möglicherweise mit einer Derrida entwendeten Formulierung charakterisieren: „Aber vielleicht eignet ihm auch das Vermögen zu einer über die Grenzen des Staates und der Nation hinausgehenden Universalisierung, die nichts anderes universalisiert als eine Berücksichtigung der namenlosen und irreduziblen Singularität von Einzelnen, deren Differenz unendlich und also jener partikularen Differenz gegenüber indifferent ist, um die es dem blindwütigen Eifer der Identitätsbehauptung zu tun ist, der das unzerstörbare Begehren korrumpiert, das sich am Idiomatischen entzündet“[5] Natürlich wissen wir, dass der Diskurs der Raumfahrt ständig zwischen diesen beiden Polen oszilliert. Oft hat sich dort die Identitätsbehauptung einer partikularen Differenz in seinen hässlichsten Seiten gezeigt. Darüber wurde jedoch bereits eine Menge geschrieben, weshalb wir explizit keinen ideologiekritischen Zugang gewählt haben. Nun soll es vielmehr darum gehen, die befreienden Aspekte des Diskurses der Raumfahrt zu Wort kommen zu lassen. Aufbau: Das Buch soll die oben angeführte These auf mehreren Ebenen ausloten. - Es sollen Quellentexte zugänglich gemacht werden, die als Zeugen für die Begeisterung anlässlich der Raumfahrt auftreten sollen. Dabei sollen Schriften seit der Neuzeit berücksichtig werden, vorzugsweise solche nichtliterarischer Art oder zumindest an der Grenze von Literatur, Wissenschaft und Politik (etwa Ausschnitte aus Wilkins Discovery of a World in the Moone (1638), Paul Scheerbart etc. bis zur Association of Autonomous Austronauts) - Gleichzeitig soll Bildmaterial und Dokumentationsmaterial zu Phänomenen der jüngeren und jüngsten Vergangenheit veröffentlicht werden (etwa Reden oder Zeitungsartikeln, sowie Material zu Fernsehserien wie Was will der Mensch im Weltraum?, Carl Sagans Unser Kosmos, der Space Night oder zur Raumfahrt in der USA und in der UdSSR) - Mit für unser Thema besonders interessanten Personen sollen Interviews geführt werden. - Schliesslich sollen Texte veröffentlicht werden, die sich spezifischen Aspekten des Themas widmen. (etwa Film und Raumfahrt, Philosophie, Politik, bestimmte Ereignisse etc.) Falls Sie Interesse an diesem Thema haben laden wir Sie herzlich ein, uns ein Abstract (nicht länger als eine Seite) Ihres Beitrags zukommen zu lassen. Der vorläufig geplante Erscheinungstermin ist Ende Juni 2001. Die Herausgeber: Thomas Brandstetter / Johannes Grenzfurthner Kontakt / email: tbrandstetter@monochrom.at jg@monochrom.at Kontakt / Post: monochrom Schönbrunnerstrasse 32/27 Tel.: 0699 10817035 Fax: 01 9523384 A-1050 Wien Web: http://www.monochrom.at/ bzw. http://www.monochrom.at/edition-mono/ ------------- [1] Cyrano de Bergerac: Die Reise zum Mond. F/M 1991, S.7 [2] Das ist zumindest bei Fontenelle der Fall, der sich konsequenterweise auch weigert, anzugeben, wie die Ausserirdischen beschaffen sein könnten. Bei Voltaire hingegen sind die sind die Saturnbewohner, welche die Erde besuche, dieselben Kleinbürger wie die Wissenschaftler, die ihnen dort begegnen. [3] Die jedoch erst 1940 in den USA veröffentlicht wurden (In: Farber, Marvin ed.: Philosophical Essays in Memory of Edmund Husserl. Cambridge/Mass. 1940). Husserl bezeichnet dort die Erde als Urheimat, das heisst als „transzendentalen Boden“, der die Bedingung der Möglichkeit unserer Welterfahrung überhaupt ausmacht. Er leugnet, dass es uns je gelingen würde, diesen Bezugspunkt loszuwerden, selbst wenn wir mit Raumschiffen weit weg fliegen würden. Die zeitgenössische Form dieses Schollendenkens findert sich im SF-Film Titan AE. [4] Emmanuel Lévinas: Heidegger, Gargarin und wir. In: ders.: Schwierige Freiheit. F/M 1996, S.175. Der Text erschien zuerst 1961. [5] Jacques Derrida: Über die Freundschaft. F/M 2000, S.157 _______________________________________________ Nettime-bold mailing list Nettime-bold@nettime.org http://www.nettime.org/cgi-bin/mailman/listinfo/nettime-bold